»Lebensmittelpatriotismus« und Giftverbot
Von Luc Śkaille, Mulhouse
Nun kommt der »Nahrungsmittelpatriotismus«. Nachdem der französische Verfassungsrat (Conseil Constitutionnel) die Wiedereinführung von Insektiziden der Neonikotinoid-Gruppe im Land verboten hat, protestieren Großbauern nun gegen die Einfuhr von Lebensmitteln, die unter Nutzung von Acetamiprid hergestellt werden. Man werde das Umweltgift nicht verwenden, »aber dann werden wir auch Nutella verbieten, weil 90 Prozent der Haselnüsse darin importiert werden und ihr Verzehr gefährlich ist«, frotzelte Véronique Le Floc’h, Präsidentin des Bauernverbands Coordination Rurale (CR) in einem Bericht der Regionalzeitung La Voix du Nord am Mittwoch. Gleichentags wollte man bereits gemeinsam mit dem Agrarverband FNSEA mit Protesten auf eine »inakzeptable« Entwicklung reagieren.
Hintergrund ist das sogenannte Duplomb-Gesetz, benannt nach dem Senator der rechten Republicains, Laurent Duplomb. Es sollte den französischen Landwirten neben der Vergrößerung von Mastanlagen und dem Bau riesiger Grundwasserreservoirs auch gestatten, das als »Bienenkiller« bekannte Gift zur Insektenbekämpfung anzuwenden. Außerhalb Frankreichs ist der Wirkstoff in der EU bis 2033 erlaubt, obwohl selbst die eigene Lebensmittelschutzbehörde des Staatenbundes vor Gesundheitsschäden warnt. Nach einer erfolgreichen Protestpetition bei der Nationalversammlung hatte der französische Verfassungsrat das Insektizid aus dem Gesetz gestrichen. Präsident Emmanuel Macron setzte das abgeschwächte Gesetz vergangene Woche dann in Kraft.
Der vor allem beim Zuckerrüben- und Nussanbau verwendete Giftstoff schade »Biodiversität, Insekten, Vögeln und möglicherweise der menschlichen Gesundheit« und verstoße gegen die französische Umweltcharta, befand der Verfassungsrat. Der Entscheidung war die Petition einer Studentin vorausgegangen, die schnell mehr als zwei Millionen Unterschriften gesammelt hatte. Denn das am 8. Juli mit Stimmen der Macronisten, Republikaner und des rechtsradikalen Rassemblement National verabschiedete Gesetz hatte das Parlament quasi ohne weitere Debatte passiert. Der Großbauer und Bauernverbandschef Arnaud Rousseau sagte im Anschluss gegenüber dem Privatsender BFM TV, das Verbot des systemischen Insektizids sei nur »durch Missbrauch einer gewissen Hysterie« erfolgt.
Die Großbauern wollen sich nun auf EU-Regularien stützen, um das seit 2018 in Frankreich verbotene Acetamiprid wie in anderen EU-Staaten anwenden zu dürfen. Der bei den Wahlen zur Agrarkammer vor dem CR und dem Kleinbauernbündnis Confédération Paysanne (CP) plazierte FNSEA machte dieses Machtverhältnis mit dem Gesetzentwurf seines Mitglieds Laurent Duplomb deutlich. Gegenüber Le Monde hatte Duplomb erklärt, das abgeschwächte Gesetz enthalte noch immer »Grundlagen, um Acetamiprid mit einem weiteren Gesetzestext doch noch zu legalisieren«. Die CP hatte die Wiedereinführung abgelehnt, forderte nun aber die Aktivierung einer Schutzklausel, »um unsere Produkte vor internationaler Konkurrenz zu schützen«, wie La Voix du Nord am Mittwoch zitierte.
Die Argumentation der Gesetzesgegner steht der der Agrarverbände entgegen. Was die einen als Wettbewerbsnachteil in der EU beschreiben, ist für die anderen eine verpasste Chance zur Debatte. Gegen den Giftstoff sollte auch auf höherer Ebene vorgegangen werden, befindet sogar der ansonsten eher zurückhaltende französische Ärzterat (CNOM). Auch wenn seine Schädlichkeit für den Menschen nicht zweifelsfrei bewiesen sei, wäre eine Wiedereinführung, »solange es Zweifel gibt, unvernünftig«, erklärte der Verband in einer Pressemitteilung.
Landwirtschaftsministerin Annie Genevard erklärte im Anschluss an die Debatte, die Vorschriften zum Insekten- und Pflanzenschutz auf EU-Ebene »harmonisieren« zu wollen. Bis dahin sei »ein verstärkter Lebensmittelpatriotismus« der Franzosen gefragt, um »unsere Landwirte nicht doppelt zu bestrafen«. Am Ziel der Großbauern, mehr Ertrag zu Lasten von Mensch und Natur zu erzielen, dürfte weder Protektionismus noch das abgeschwächte Duplomb-Gesetz etwas ändern.
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