Antisoziale Koalition
Von Daniel Bratanovic
Gelegentlich, und sei es aus Gründen des Selbsterhalts, scheint sich die SPD daran zu erinnern, welche Klientel sie zu vertreten mal behauptet hat. Der sozialdemokratische Finanzminister muss Haushaltslöcher stopfen und hat deshalb auf der Suche nach Füllmasse vor einer Fernsehkamera laut darüber nachgedacht, »Spitzenverdiener und Vermögende« höher zu besteuern. So etwas kommt in der SPD immer wieder mal vor, Folgen hat solches Räsonnement nie. Das hat auch damit zu tun, dass die Interessenvertretung der Spitzenverdiener und Vermögenden noch stets verlässlich solches Ansinnen, wie ernst auch immer es gemeint sein mag, empört zurückweist und erfolgreich verhindert. So auch jetzt. Klingbeils zaghaftes Vortasten in dieser Frage verursachte erwartbare Reflexe.
Kaum mehr kaschiert wird der Zweck solcher Übung, nämlich die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Anstelle einer höheren Spitzen- und Vermögenssteuer, heißt es bei der Union, solle der Finanzminister doch Einsparpotentiale im Blick behalten, »zum Beispiel im Sozialbereich, vor allem beim Bürgergeld, aber auch bei der Migration«. Und »zynisch« nennt die AfD die Forderung nach »neuen Belastungen«, die FDP erklärt, Deutschland brauche nun »Wachstum, Innovation und Entlastung, nicht zusätzliche Belastungen für die Leistungsträger unseres Landes«. Die Bürgerkoalition steht, zumindest in Steuer-, genauer: Steuervermeidungsfragen, der virtuelle Koalitionsvertrag trägt den Titel: »Eure Armut kotzt uns an!«
Überflüssig zu sagen, dass die ganze Steuerdebatte, wie roh und vulgärmaterialistisch auch immer, auf eine materialistische Erklärung verzichtet. Der kapitalistische Staat ist ein Steuerstaat. Die Mittel, über die er gebietet, sind per Steuer erhobene Abzüge aus dem kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozess. Stockt der, beziehungsweise gerät er in die Krise, bekommt auch der Staat ein finanzielles Problem, wird also in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Maßnahmen zur sozialen Befriedung, die er um der gesellschaftlichen Stabilität willen ergreift, stehen plötzlich zur Disposition. Der wiederkehrende Verteilungsstreit innerhalb des Staatsapparats ist also einer um die Frage, ob und warum sich der Staat ein Ausbalancieren der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und Konflikte überhaupt noch leisten sollte, wenn es auch anders gehen könnte, zumal dann, wenn er sich zur Kriegstüchtigkeit aufputscht, die ja schließlich irgendwie gegenfinanziert werden muss. Also Kürzungen beim Sozialklimbim; die sich formierende antisoziale Koalition hat dafür Vorbilder.
Steuerfragen sind Klassenfragen. Das aber darf unter den konkurrierenden Parteien der Republik, die allesamt keine Klassen, sondern nur noch »Menschen«, keine Ideen, sondern nur noch »Sachen« zu erkennen vorgeben, nicht zur Sprache kommen. Auch nicht bei der SPD.
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