Viel zuwenig, viel zu spät
Von David Siegmund-Schultze
Bücher, Stifte, Hefte, Mäppchen, ein Schulranzen, Sportkleidung, eine Schultüte, ein Schreibtisch – für all das erhalten Familien im Bürgergeldbezug 130 Euro zum Schulstart. Zu Beginn des zweiten Halbjahres sind es noch mal 65 Euro. Das sei »viel zuwenig und zu spät«, kritisiert der Verein »Sanktionsfrei« in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme. Die realen Kosten beim Schuleinstieg liegen bei 300 bis 600 Euro, schätzte die gemeinnützige Stiftung »Deutschland im Plus« jüngst. Allein ein ordentlicher Schulranzen koste in der Regel 80 bis 250 Euro.
»Auf alles das, was einen besonderen Tag ausmacht: eine schöne Feier, vielleicht ein hübsches Kleid oder eine Überraschung in der Schultüte, müssen betroffene Familien oftmals verzichten«, sagte Helena Steinhaus von Sanktionsfrei am Mittwoch gegenüber junge Welt. »Und das, was sie sich leisten, müssen sie sich vom Mund absparen.« Zur Einschulung sei das Problem zwar am größten, es bestehe aber für jedes betroffene Kind zu jedem neuen Schuljahr, so Steinhaus weiter. Deswegen fordert der Verein, ebenso wie die Caritas, eine Anpassung der Schulbedarfspauschale an die tatsächlichen Kosten und bundesweite Lernmittelfreiheit. Schulbücher und etwa Arbeitshefte sollen also für alle Schüler kostenlos sein.
Das forderte ferner auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): »Ausflüge, Klassenreisen und die digitale Ausrüstung müssen auch abgedeckt werden, das ist aktuell nicht der Fall«, sagte GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze am Mittwoch gegenüber jW. Lernmittelfreiheit sei ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Chancengleichheit, aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Teure Schulbücher müssten in vielen Ländern aus der eigenen Tasche finanziert werden. Insgesamt gelte: »Immer noch hängt der Bildungserfolg zu stark von der sozialen Herkunft ab.«
Jedes fünfte Kind in der BRD wächst in Armut auf – also etwa drei Millionen Menschen. Und arme Kinder haben hierzulande erheblich schlechtere Chancen auf einen hohen Schulabschluss. Nur 21,5 Prozent der Heranwachsenden mit Eltern ohne Abitur und geringem Einkommen besuchen ein Gymnasium – bei Eltern mit hohem Einkommen und Abitur sind es mehr als 80 Prozent, wie aus Zahlen des kapitalnahen Ifo-Instituts von 2019 hervorgeht. Das hat auch mit den unzureichenden Mitteln zu tun, die bürgergeldbeziehenden Familien für die Bildung gezahlt werden.
Das will auch die Caritas ändern. »Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen eine klare Sprache: Die Kosten für Schulbücher steigen deutlich schneller als die allgemeine Inflation«, heißt es in einer Stellungnahme des katholischen Wohlfahrtsverbands aus der vergangenen Woche. Demnach seien Schulmaterialien in diesem Jahr um 3,8 Prozent teurer geworden – die Schulbedarfspauschale sei im Vergleich zum Vorjahr hingegen nicht gestiegen. »Die Preissteigerungen bei Schulmaterialien bringen gerade Familien mit mehreren Kindern an ihre Belastungsgrenze«, wird Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa in dem Statement zitiert. Auf die Forderung von Sanktionsfrei und Caritas nach einer spürbaren Anhebung des Schulbedarfspakets ist das Familienministerium auf jW-Anfrage nicht eingegangen. Das in erster Linie zuständige Arbeitsministerium hat sich bis jW-Redaktionsschluss nicht dazu geäußert.
Um auf die prekäre Situation der Familien aufmerksam zu machen, hat Sanktionsfrei Spenden gesammelt und 419 Kindern einen Schulbonus von 150 Euro ausgezahlt. Auch wenn es eine symbolische Aktion ist, bedeutete sie für die Familien eine echte Hilfe: »Wir haben den ersehnten Schulranzen jetzt kaufen können. Die Freude ist groß«, zitiert der Verein das Elternteil eines der Kinder.
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