Ist das schon Normalisierung?
Von Satyajeet Malik
Die indisch-chinesischen Beziehungen »können nicht normal sein, solange es keinen Frieden in den Grenzgebieten gibt«, erklärte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar Ende 2024. Nun, acht Monate später, kam dann Chinas Außenminister Wang Yi auf Einladung des indischen Nationalen Sicherheitsberaters Ajit Doval zu einem Besuch auf höchster Ebene. Während der zweitägigen Reise am Montag und Dienstag wurde Yi in Neu-Delhi neben Jaishankar und Doval auch von Premierminister Narendra Modi persönlich empfangen.
Er sei »froh, den Außenminister getroffen zu haben«, erklärte Modi im Anschluss bei Twitter und lobte »stetige Fortschritte« in den Beziehungen zwischen Indien und China. Das chinesische Außenministerium zitierte Jaishankar in einem englischsprachigen Bericht mit den Worten, dass »Taiwan Teil Chinas« sei, während Doval erklärt haben soll, Indien halte »konsequent an der Ein-China-Politik fest«. Indiens Haltung zu Taiwan habe sich »nicht geändert«, und die Beziehungen zu Taipeh konzentrierten sich auf Wirtschaft, Technologie und Kultur, zitierte The Indian Express am Mittwoch aus »Regierungskreisen«.
Während sich Yis Besuch auf die Lösung der Grenzkonflikte konzentrierte, kündigten die Länder Schritte im wirtschaftlichen Bereich an. Obwohl kein formelles Abkommen unterzeichnet wurde, sprachen beide Seiten über eine Intensivierung des Handels und der Investitionen. Beijing hat Neu-Delhi zugesichert, die Nachfrage nach Dünger, seltenen Erden und Tunnelbohrmaschinen zu berücksichtigen. Eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den beiden asiatischen Großmächten könne sich auch für das verarbeitende Gewerbe – etwa bei der Luftfahrt, Stromgewinnung aus erneuerbaren Energieträgern und der Rüstung – auszahlen.
Beide Seiten kündigten zudem die Wiederaufnahme von Direktflügen und die Erteilung von Visa an. Man wolle den »Multilateralismus« aufrechterhalten und eine »multipolare Welt« fördern. Die Nachbarn wollen sich im Laufe des nächsten Jahres erneut treffen, Modi wird Ende des Monats zur bevorstehenden Tagung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit nach Tianjin in der Volksrepublik reisen.
Zerfallende Außenpolitik
Die Annäherung an China kann als Zerfall der Außenpolitik des Modi-Kabinetts gelesen werden. Seit ihrer Amtseinführung im Jahr 2014 hat die hindunationalistische Regierung Indiens ihr geopolitisches Profil überschätzt und eine feindselige Haltung gegenüber den unmittelbaren Nachbarn, darunter China und Pakistan, eingenommen. Andererseits hat sich Modi für engere Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, gerühmt.
Die ersten größeren Risse in diesem geopolitischen Profil zeigten sich während des intensiven, viertägigen Krieges mit Pakistan im Mai, der Modi an mehreren Fronten Blamagen bescherte. Der Abschuss von fünf indischen Kampfflugzeugen, darunter Jets der 4,5. Generation »Rafale«, schädigte das militärische Ansehen Indiens. Zudem soll Pakistan während des Krieges von China unterstützt worden sein, etwa durch die Weitergabe der Positionen indischer Kampfflugzeuge. Indien erhielt keine vergleichbare Hilfe von seinen westlichen »Verbündeten«. Schädigender war aber die wiederholte Behauptung von US-Präsident Trump, zwischen Indien und Pakistan vermitteln zu wollen: Pakistan wäre in einem solchen Fall als gleichwertiger militärischer Konkurrent Indiens angesehen worden.
Wie fehlgeleitet diese Orientierung ist, zeigte sich mit den Zollanhebungen in Höhe von 25 Prozent auf indische Importe wegen des Kaufs von russischem Öl. Die Gesamtzölle steigen so auf 50 Prozent. China, größter Abnehmer russischen Öls, wurde dafür nicht ausdrücklich mit Strafmaßnahmen belegt. Zuvor hatten NATO-Chef Mark Rutte und US-Senator Lindsey Graham gedroht, der indischen Wirtschaft wegen des Kaufs von russischem Öl schaden zu wollen. Das brachte Modi, der den US-Präsidenten als seinen »Freund« bezeichnet und während Trumps zweiter Wahlkampagne unter indischen Emigranten in den USA für ihn warb, in ziemliche Verlegenheit.
Nun zeigt sich, dass Trumps Maßnahmen Indien nicht nur am Bezug russischen Öls hindern sollen, sondern dem Land auch eine weitere Öffnung seines Marktes und eine vollständige Positionierung auf seiten der USA in deren Indo-Pazifik-Strategie gegen China abringen könnten. Das ist Thema in den laufenden Handelsverhandlungen zwischen Washington und Delhi.
Kein Zeichen der Stärke
Die Annäherung an China kann also nicht notwendigerweise als Zeichen der Stärke gegenüber den USA interpretiert werden. Der bekannte indische Politökonom Prabhat Patnaik argumentierte jüngst, Indien sei dazu wirtschaftlich auch gar nicht in der Lage. Die indische Ökonomie sei durch jahrzehntelange neoliberale Politik tief in das frei fließende, globale Finanzkapital verstrickt, was den Subkontinent anfällig für US-Diktate gemacht habe. Ein Widerstand gegen die USA und ein Ausgleich der durch die Zölle verursachten wirtschaftlichen Schäden könnten Patnaik zufolge eine tiefgreifende Neuausrichtung des Wirtschaftssystems weg vom Neoliberalismus erfordern.
Die indische Großbourgeoisie dürfte dies als Hauptprofiteur des neoliberalen Regimes jedoch ablehnen. Die indische Rupie werde laut Patnaik angesichts der erhöhten Zölle schwächer und könne nur durch die Einführung von Handels- und Kapitalkontrollen gerettet werden. Viel eher, als sich für eine Alternative einzusetzen, die den globalen Kapitalfluss einschränkt, dürfte die indische Bourgeoisie also Kompromisse mit den USA eingehen wollen.
Hintergrund : Eine lange Rivalität
Mit Indiens Unabhängigkeit im Jahr 1947 ging die politische Macht an die indische Großbourgeoisie. Jene der Kommunistischen Partei Chinas nach dem Sieg im Bürgerkrieg 1949 erkannte sie als Bedrohung und übernahm die Aufgabe, eine revolutionäre Ausbreitung nach Osten zu verhindern. Mit den USA kooperierte Indien im feudal-reaktionären Tibet und begann, die separatistische Aktivität dort zu unterstützen – diplomatisch, aber auch mit Waffenlieferungen und Spionageaktivität. Das Ausmaß war so groß, dass der damalige indische Premierminister Jawaharlal Nehru 1953 zugab, die indische Stadt Kalimpong nahe der Grenze zu China sei ein »Spionagenest«, verantwortlich für die separatistischen Aktivitäten in der Region. Heute dient die indische Stadt Dharamshala als Exilhauptstadt der tibetischen Separatisten.
Unter Nehru lehnte Indien wiederholte Versuche Chinas ab, Grenzstreitigkeiten gütlich beizulegen. Die Grenze der Nachbarn hatte der britische Imperialismus 1914 willkürlich gezogen. Nach Ansicht Chinas wurden dadurch mehrere seiner Regionen zu Unrecht dem indischen Staatsgebiet zugeschlagen. Nehru strebte eine einseitige Lösung des Grenzkonflikts zu seinen Gunsten an, da er im Falle eines Krieges mit China auf die direkte Unterstützung der USA zählen konnte.
Dies ist der Hintergrund des indisch-chinesischen Krieges von 1962. Chinesische Truppen überrannten indische Stellungen im Norden und Osten, nachdem Nehru erklärt hatte, er habe die Streitkräfte angewiesen, die Chinesen aus »indischen« Gebieten zu vertreiben. Die indische Verteidigung brach praktisch zusammen und der Krieg endete innerhalb eines Monats mit einem einseitigen Waffenstillstand Chinas und dem Abzug seiner Truppen. Ziel war, trotz der Eskalation eine diplomatische Lösung für den Grenzstreit zu finden.
Darauf herrschte Ruhe, bis zur direkten militärischen Auseinandersetzung im Galwan-Tal im Norden Indiens im Jahr 2020. Berichten zufolge starben dabei 20 indische und vier chinesische Soldaten. (sm)
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