Verdächtiger Zeitdruck
Von Reinhard Lauterbach
Dreieinhalb Jahre dauert der Ukraine-Krieg am bevorstehenden Wochenende, und plötzlich soll alles ganz schnell gehen? Ein Konzept für »Sicherheitsgarantien« der EU innerhalb von »sieben bis zehn Tagen« (Merz), dito ein Plan für »Rückversicherungstruppen« à la française? Wenn es nicht ein so ernstes Thema wäre, könnte man sagen: Na gut, jetzt müssen die hochbezahlten Sherpas in Europas Staatskanzleien halt mal ein paar Nachtschichten einlegen, das ist bei ihren Gehältern ja wohl drin.
Aber im Ernst: Wenn die EU und Großbritannien einen schnellen Frieden in der Ukraine gewollt hätten, dann hätten sie ihn Ende März 2022 haben können. Dass Boris Johnson die weit fortgeschrittenen Verhandlungen in Istanbul in Absprache mit Joe Biden torpediert hat, ist bekannt. Denn damals glaubten die NATO-Oberen noch, sie könnten Russland militärisch schlagen. Inzwischen hat der Gang des Krieges sie – auf Kosten der Ukraine und der eigenen Steuerzahler – eines besseren belehrt. Mit dem militärischen Sieg über Russland ist es nichts geworden und wird es so schnell auch nichts. Im Gegenteil: Mit jedem Tag verschlechtert sich die militärische Lage der Ukraine. Sie bricht vielleicht nicht innerhalb von zwei Wochen zusammen, aber das viele Geld für Kiew wird als politische Investition immer fragwürdiger.
Aber wenn die Ereignisse im Frühjahr 2022 die Tragödie waren, dann wiederholen sie sich jetzt als Farce. Die EU kämpft dabei an zwei Fronten, und es ist schwer zu entscheiden, welche für sie die bedrohlichere ist. Wenn sie – was nicht zu erwarten ist – ihre Niederlage eingestünde und einen Trump-Putin-Deal hinnähme, hätte sie einen Haufen Geld in den Sand gesetzt, aber weiter nichts verloren. Bis auf ihren Großmachtanspruch. Die »Östliche Nachbarschaftspolitik«, in deren Namen der Euromaidan losgetreten wurde und die damit auch für alles, was folgte, historisch verantwortlich ist, war vom Anspruch getragen, dass Brüssel in Osteuropa ein »nahes Ausland« einrichtet – genau die Sphäre besonderer Interessen, die es Russland seit 1991 in seinem direkten geographischen Umfeld verweigert.
Die andere Front, an der die EU kämpft, ist deshalb die gegen ihre Deklassierung durch Donald Trump. Der mag sich mit Wladimir Putin in vielen Fragen uneins sein, aber in der nach der Bedeutung Brüssels herrscht mit Sicherheit Konsens. Und deshalb sind die »Europäer« am Montag nach Washington gepilgert und haben dem großen Trump gehuldigt wie zu Zeiten des schlimmsten Personenkults. Peinlich bis zur Fremdscham. Die einzig gescheiten Bilder vom Montag abend kamen von Giorgia Meloni. Die verdrehte ständig die Augen und verhehlte nicht, dass sie von dem Schauspiel genervt war. Gut immerhin, dass Ursula von der Leyen den »Green Deal« sowieso einstampfen will. Sonst hätte am Ende noch jemand nach dem Klimafußabdruck der vielen Kurztrips über den Atlantik gefragt.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. August 2025 um 09:56 Uhr)Als Ungarn im zweiten Halbjahr 2024 die EU-Ratspräsidentschaft führte und Viktor Orbán unbeirrt auf Frieden in der Ukraine drängte, wurde er in Brüssel verlacht und als Störenfried hingestellt. Heute jedoch überschlägt sich dieselbe EU plötzlich mit hektischen Initiativen – als wäre über Nacht eine neue Erkenntnis vom Himmel gefallen. Doch geändert hat sich nichts! Die militärische Entwicklung war absehbar, die politische Sackgasse seit Langem sichtbar. Wer jetzt so tut, als käme das alles überraschend, entlarvt nur seine eigene Blindheit und Feigheit. Die EU hat jede Chance auf eine eigenständige, verantwortungsvolle Friedenspolitik verspielt und findet sich nun am Katzentisch wieder – ein machtloses Gremium, dessen Regierungschefs herumstammeln wie überforderte Kinder, unfähig, den Scherbenhaufen ihrer eigenen Arroganz zu begreifen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (20. August 2025 um 08:54 Uhr)Warum sind denn die Staatschefs gemeinsam mit Selenskij nach Washington gepilgert? Weil es ans »Eingemachte« geht. Die fortschreitende Militarisierung der europäischen Wirtschaft, die Milliarden an Steuergeldern, die in diesem Krieg verpulvert wurden (und teilweise die Oligarchie in der Ukraine noch reicher gemacht haben) und die wachsende Unzufriedenheit der europäischen Bevölkerung könnten bei Abschluss eines Deals zwischen Putin, Selenskij und Trump zu einer weiteren Delegitimation der Regierungen in Europa führen. Reihenweise Regierungskrisen bis hin zu Neuwahlen in den führenden EU- und NATO-Ländern sind nicht unwahrscheinlich im Falle eines Friedensschlusses. Weil den Völkern in Europa klar wird – sie sind für den ausgerufenen Kampf gegen die bösen Russen mächtig zur Ader gelassen worden und werden weiter zur Ader gelassen. Diese Politik der Stärke des »Wertewestens« ist krachend gescheitert, ein weiteres Mal nach Afghanistan, nach dem Irakkrieg usw. Da will man innere Unruhe und den Ruf nach neuen Regierungen schnell begegnen, indem man sich auf einmal als Friedensengel produziert. Vor gut drei Jahren wurden diejenigen, die damals und bis jetzt Frieden fordern, dafür auf die Straße gehen, als »gefallene Engel aus der Hölle«, »Lumpenpazifisten« usw. beschimpft. Und nun die halbherzige Kehrtwende, wenn sie ehrlich gemeint ist. Aber NATO-Truppen als Friedenstruppen in der Ukraine? Da wird die nächste Lunte gelegt. Denn Putin hat seit dreieinhalb Jahren immer wieder gesagt, dass Russland keine NATO in der Ukraine will, die Ukraine soll neutral sein. Mit der Forderung nach diesen Truppen als Friedenstruppe will man indirekt dafür sorgen, dass Russland »Njet« sagt. Und dann kann die russophobe Hetze weitergehen und die Kriegsvorbereitungen weiterlaufen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (20. August 2025 um 11:33 Uhr)Sie bringen den Irrsinn auf den Punkt: NATO-Truppen als Friedenstruppen. Verschwenden wir unsere Hoffnungslosigkeit nicht mit Gedanken zu den Friedenstruppenerfahrungen der jetzt vorpreschenden Machthaber von Britannien und Großer Nation, sondern: Soldaten aus Deutschland sollen dabei sein. Historische Werte stehen auf dem Prüfstand der Weltgeschichte; daher sind auch wieder Zehntausende in Freiwilligenverbänden aus den großmäulig regierten baltischen Zwergstaaten (Kaja »K. K.« Kallas bitte wieder vorneweg!) unbedingt erforderlich. Und! Bitte ganz vorne und First Class!: Truppen aus Finnland! Die haben damals bei der Belagerung von Leningrad erstklassige Arbeit geleistet. Dass die am 27. Januar 1944 endete (ist in unserer Familie wegen Auschwitz 1945 immer präsent) – auch wieder von den Russen verursacht. – Mal in Ruhe und aufrichtig: In unserer Familie und unsere Freunde waren alle (!) entsetzt, dass eine finnische Regierung nach diesen Untaten wieder Konfrontation sucht, anstatt beim Kurs der friedlichen Nachbarschaft zu bleiben. Wer hat da wohl entschieden, Herr Olof Palme?
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (20. August 2025 um 04:55 Uhr)»Die «Östliche Nachbarschaftspolitik», in deren Namen der Euromaidan losgetreten wurde und die damit auch für alles, was folgte, historisch verantwortlich ist, war vom Anspruch getragen, dass Brüssel in Osteuropa ein «nahes Ausland» einrichtet – genau die Sphäre besonderer Interessen, die es Russland seit 1991 in seinem direkten geographischen Umfeld verweigert.« Die EU wollte sich mit dem Euromaidan – mit undemokratischer Gewalt – Absatzgebiete für ihre Waren und Kredite sichern und aus ökonomischen Gründen Russland verdrängen, welches damals immer noch einen regen Handel mit der Ukraine pflegte. Es war geradezu grotesk, dem größten Staat der Erde (Russland) wenigstens bei den Wirtschaftsbeziehungen das zu verweigern, was sich die USA seit 1823 mit der Monroe-Doktrin ganz selbstverständlich seit 200 Jahren auch militärisch zubilligen. Damals wurde von ihnen ganz Süd-, Mittel- und Nordamerika zu ihrer exklusiven Einflusszone erklärt, in die sich europäische Mächte nicht einzumischen hätten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Aber das waren ja erst die bescheidenen Anfänge. Inzwischen gibt es für die USA bei 1000 Stützpunkten und einigen Militärbündnissen auf der halben Welt überhaupt kein Ausland mehr, im Sinne, dass sie sich da nicht einmischen würden. Aber was Jupiter gestattet ist, ist dem Ochsen selbstverständlich nicht gestattet. Russland wagt es, auf die historischen Bindungen zur Ukraine zu verweisen. Kiew ist einer seiner Gründungsorte (Kiewer Rus). Das ist etwa so, als wenn man den Franzosen Paris als Einflussgebiet streitig machen würde, den Briten London oder den Bayern München. Doch der »Ochs« im Kreml wird diese westliche Sichtweise schon schlucken, garantiert Frau von der Leyen mit dem bald 20. Jubiläumssanktionspaket! Da erwarten die Russen aber etwas besonders Hübsches auf der Torte, die sie ja eigentlich selbst sein sollten. Aber aus irgendeinem Grund kann die immer noch nicht angeschnitten werden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (20. August 2025 um 11:44 Uhr)Ein wie gewohnt in vielen Punkten sehr treffender Leserbrief. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten – kodifiziert u. a. in der Schlussakte von Helsinki – ist durch die diversen westlichen Einflussmaßnahmen auf die Maidanproteste 2013/14 natürlich eklatant gebrochen worden. Die regelmäßigen Beratungen in der Kiewer US-Botschaft mit den Aufständischen oder die regelmäßige Verharmlosung der randalierenden, Steine und Molotowcocktails werfenden Demonstranten als »friedlich«, gegen die jeder Polizeieinsatz unverhältnismäßig sei, sind da nur zwei Beispiele der westlichen Perversion des Rechts. Dass Janukowitsch dem nachgab, um sich die Tür Richtung EU trotz aller Kritikwürdigkeit der EU-seitig diktierten Assoziierungsbestimmungen offen zu halten, ist ein Fehler gewesen. Kiew aber den Russen streitig zu machen, ist durchaus etwas anderes, als Paris den Franzosen streitig zu machen. Die historischen Argumente Putins muss man – so sehr sich seine Intelligenz positiv von der Dummheit westlicher Politiker abhebt – deutlich kritisieren. Kiew mag Keimzelle Russlands sein. Das war aber vor vielen Hunderten von Jahren. Heute leben in Kiew dagegen Ukrainer und weniger Russen. Und Politik muss stets für die heute lebenden Menschen gemacht werden, nicht für irgendwelche längst verstorbenen Vorfahren. Einen Anspruch auf Kiew muss man den Russen genauso streitig machen wie einen (von Hitlers Propagandisten im SS-Leitheft 7.Jg., Folge 9b, S.2 formulierten) Anspruch Deutschlands auf die Krim bzw. die Ukraine als dem Ort der gotischen Vorfahren der Germanen. Ebenso muss man Israel einen Anspruch auf die Westbank verwehren, auch wenn dort vor 2000 Jahren vornehmlich Juden gelebt hatten. Das so oft bemühte historische Argument ist sachlich haltlos. Die im Leben einer einzelnen Person gegebene Kontinuität ist in der Geschichte ja durch die Generationenfolge klar gebrochen. Zivilrechtliche Grundsätze (Erbrecht) sind im Völkerrecht nur begrenzt anwendbar.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (20. August 2025 um 15:28 Uhr)Der Ausgangspunkt war die im Artikel von R. Lauterbach in dem Fall richtige Feststellung, dass die EU in der Ukraine den Einfluss haben möchte bzw. jetzt hat, den sie Russland mit seiner ja viel engeren mit der Ukraine zusammenhängenden Geschichte seit 1991 nicht zugestehen will. So wurde ja auch Janukowitsch unter Druck gesetzt: »Entweder Russland oder wir. Zusammenarbeit mit beiden Seiten scheidet aus«. Einflussgebiet war die Ukraine immer: Zunächst von Polen/Litauen, dann von Russland/Habsburg, dann ein Jahr von Wilhelm II., gefolgt von der UdSSR und nun den USA und der EU. Ich schrieb keineswegs von einem »Anspruch auf Kiew«, sondern von »Einflusszone« bzw. »Einflussgebiet« sowie »historischen Bindungen«. Die gesamte EU ist beispielsweise Einflussgebiet Deutschlands, und die halbe Welt Einflussgebiet der NATO, ohne dass dadurch den Franzosen Paris streitig gemacht wird. Das sind zwei verschiedene Dinge. Auf jeden Fall hat da Russland eher das Recht, Einfluss in der Ukraine in ihrer Nachbarschaft auszuüben, bei einem so hohen Bevölkerungsanteil an diskriminierten Russen, als die NATO, die USA oder Deutschland. Und die Ukraine würde damit weit besser fahren als mit ihren augenblicklichen Verbündeten, von denen sie nur missbraucht wird.
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