»Wir lassen uns nicht vertreiben«
Interview: Gitta Düperthal
Manfred Moslehner, genannt Manne, lebte in der Kleinhaussiedlung am Steinberg in Berlin-Reinickendorf. Er verstarb am 30. Mai im Alter von 85 Jahren. 14 Jahre lang hatte er gegen die Verdrängung aus seiner Wohnung und eine immense Mieterhöhung kämpfen müssen. Weshalb wurde auch sein Begräbnis zum Kampf?
Manne wurde am 12. August beerdigt. Die Kapelle war voll, es ging feierlich zu. Wir waren alle sehr ergriffen. Doch zuvor hatten wir Manne dem Zugriff der Ämter entreißen müssen. Sonst wäre er anonym in der Erde verscharrt worden. Es gab keine Verfügung, kein Testament und Manne hatte keine Familie mehr. Erst hatte er gegen profitgierige Investoren kämpfen müssen, und nach seinem Tod gegen ein unwürdiges Ende. Das wollten wir als Gemeinschaft in der Siedlung am Steinberg nicht zulassen. Das hatte Manne nicht verdient. Seine Beerdigung wurde durch Spenden finanziert.
Wie kam der Zusammenhalt am Steinberg zustande?
Wir haben als Gemeinschaft in der Siedlung zusammen insgesamt mehr als 4.000 Tage lang demonstriert, um unsere Wohnungen zu behalten, früher sieben Tage die Woche, jetzt machen wir es noch an drei Tagen: mittwochs, samstags und sonntags. Das schafft Verbindung miteinander. Manne war einer von uns. Er ist in dem Haus in der Siedlung geboren, wollte sich nicht vertreiben lassen – genau wie ich. Wir zahlen pünktlich die Miete, haben uns nichts zuschulden kommen lassen. Dennoch will man uns auf die Straße setzen.
Er war im Berliner Mieterverein organisiert und gelernter Maschinenschlosser. Was waren die Umstände in der Siedlung?
Manne lebte still und zurückgezogen. Aber den Rausschmiss wollte er nicht mit sich machen lassen. Wie wir alle in der Siedlung musste er stets Angst haben, den Wohnraum zu verlieren. Wir haben hier eine lange Geschichte, unsere Familien leben seit 1920 am Steinberg. Auch meine Großeltern waren hier schon zu Hause. Mannes Familie besaß einen kleinen Lebensmittelladen, wo es alles lose zu kaufen gab: rote und grüne Bonbons aus dem Glas, Kaffee, Mehl oder 25 Gramm Gewürze. Man konnte sich das auch anschreiben lassen, wenn das Geld mal knapp war.
Wir lassen uns nicht vertreiben. Manne war das schwächste Glied in der Kette, weil er keine Familie mehr hatte. Ständig gab es diesen Schriftverkehr mit Kündigungsandrohungen und Gerichtsverhandlungen. Es ging nach Willkür zu, nicht nach Recht, einzig um Geld zu machen. Für uns Betroffene war das eine Quälerei.
Nachbarinnen und Nachbarn halfen Manne noch 2024, indem sie Spenden sammelten, damit ihn kein Gerichtsvollzieher zwangsräumen konnte. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Er lebte vom Existenzminimum, war eher verschlossen und zurückhaltend. Er war ein Feingeist, liebte klassische Musik, fotografierte, im Keller hatte er eine Dunkelkammer eingerichtet. Dass man ihn auf die Art fertig machte, hatte er nicht verdient. Er hatte die Chance ergriffen, sich zusammen mit den Nachbarn zu wehren. Das war es, was für uns zählte.
Werden die Menschen, die jetzt um Manne trauern, den Zusammenhalt weiter pflegen? Droht den verbliebenen Nachbarn am Steinberg weiter der Rausschmiss?
Der Kampf um unsere Wohnungen begleitet uns schon seit 15 Jahren. Wir hatten einst 53 Wohneinheiten, jetzt sind es noch 16. Wir werden weiter mit Transparenten auf der Straße sitzen und dafür kämpfen, unsere Wohnungen behalten zu können. Es hat uns Kraft gekostet, Manne würdig unter die Erde zu bringen. Der Zusammenhalt, der jetzt nach dem Tod von Manne und dem Organisieren seines Begräbnisses sichtbar wurde, hat uns einen neuen Schub gegeben. Wenn die CDU und ihre Immobilienlobby hier in Reinickendorf glauben, uns durch jung-dynamische Finanzkräfte ersetzen zu können, weil wir im »unteren Sozialniveau« sind, sagen wir: Da machen wir nicht mit.
Hans-Hartmut Lenz ist langjähriger Nachbar und Weggefährte des verstorbenen Manfred Moslehner aus der Berliner Siedlung am Steinberg
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