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Aus: Ausgabe vom 20.08.2025, Seite 5 / Inland
Gesundheitspolitik

Schlagabtausch in Warteschlange

Bühne frei: Sozialverband VdK im Clinch mit Ärzteschaft um Terminvergabe bei privilegierten Privatpatienten
Von Oliver Rast
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Es ist eine Grundsatzentscheidung, eine Entscheidung über den gesundheitspolitischen Weg

Ein Sommerlochtheater? Nein, dafür ist das Stück zu ernst, der Streit zwischen dem Sozialverband VdK und Ärzteverbänden. Kern der Handlung: Die Privilegierung von Privatpatienten bei der Terminvergabe in Fach- und Hausarztpraxen.

Vorhang auf, Bühne frei: Montag vormittag, 10.14 Uhr, verbreitete der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) seine Pressemitteilung – Überschrift: »Die Mär der Bevorzugung von Privatversicherten«. Der Verband fordert eine »faktenbasierte Debatte« und weist die »pauschale Behauptung« zurück, private Patienten würden seitens der Ärzteschaft bevorzugt. Richtig sei vielmehr, Gesundheitspolitiker und Krankenkassen würden Termine für gesetzlich Versicherte »absichtlich begrenzen«.

Hintergrund zur Handlung: Im Jahr 2023 waren Statista.com zufolge im Schnitt 74,3 Millionen Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Davon 58,2 Millionen beitragszahlende Mitglieder und 16,04 Millionen beitragsfreie Versicherte, etwa Familienangehörige. Die private Krankenversicherung (PKV) hatte zuletzt 8,7 Millionen Vollversicherte. Gesetzlich Versicherte werden über gedeckelte Pauschalen abgerechnet, die Fallpauschalen. Ist das Budget aufgebraucht, bekommt der Arzt nichts mehr, zahlt drauf. Privatpatienten hingegen werden nach der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnet – jede Leistung zählt und ist nicht limitiert.

Die Handlung des Stücks nimmt langsam Fahrt auf. Arztpraxen seien Wirtschaftsunternehmen, betonte SpiFa-Chef Dirk Heinrich. Sie würden zumeist von Ärzten betrieben, die einen Vertrag mit der GKV hätten und demnach Vertragsärzte seien. Pflicht ist, 25 Stunden für GKV-Versicherte als Sprechzeiten inklusive Hausbesuche aufzubringen. 13 Stunden Nebentätigkeit bei vollem Kassenarztsitz sind möglich, vorrangig für Selbstzahler und Privatpatienten. Und da es viel weniger private Patienten gebe, sei es »mathematisch logisch«, dass jene schneller einen Termin bekämen, raunt Heinrich. Hinzu komme, dass wegen der »willkürlichen Budgetierung« Termine jenseits der 25 Stunden Kassentätigkeit wegfielen. »Wer also mehr Facharzttermine möchte, muss erst einmal die Budgetierung beenden.«

Verena Bentele widerspricht – und bringt Schwung in das Stück. Montag nachmittag, 16.16 Uhr. Eine Studie der Stiftung Warentest vom Mai besage, »dass 18,6 Prozent der gesetzlich Versicherten bis zu zwei Monate auf einen Facharzttermin warten«, betonte die Präsidentin des Sozialverbands VdK in einer Replik. Dagegen erhielten 26,1 Prozent der Privatversicherten einen Termin innerhalb einer Woche, bei gesetzlich Versicherten seien es gerade einmal acht Prozent. Ärger noch, viele Kassenärzte verstießen gegen den Sicherstellungsauftrag, also erfüllten nicht die 25 Wochenstunden für GKV-Patienten. Kurz, die Bevorzugung von Privatversicherten sei »bittere Realität«, keine Mär. Um Verstöße zu ahnden, fordert Bentele »großflächige Kontrollen« und »saftige Geldbußen« für Praxisärzte.

Replik der Replik: Der SpiFa dreht weiter am Handlungsstrang, Dienstag vormittag, 10.44 Uhr. Der VdK befeuere mit falschen Zahlen den Privatpatientenmythos. Denn Fachärzte investierten durchschnittlich »deutlich mehr Zeit für die Behandlung gesetzlich Versicherter, als sie müssten«. Ein Beleg: eine Forsa-Umfrage von 2023, wonach die Wochensprechzeit für GKV-Versicherte bei 29 Stunden lag. Der Nebendarsteller Virchowbund sprang dem SpiFa bereits eine halbe Stunde zuvor bei (10.09 Uhr). Der VdK polarisiere und bringe die Mitgliedschaft gegen Praxisärzte auf.

Wie geht es weiter? Das große Finale fällt aus. Der VdK würde lediglich seine Position »erneut darlegen«, sagte deren Pressereferent am Dienstag nachmittag jW. 14.27 Uhr, der Vorhang ist gefallen. Vorerst.

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