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Aus: Ausgabe vom 19.08.2025, Seite 11 / Feuilleton
Punk

Man ist ja keine 13 mehr

Das neue Studioalbum »3!+7(hoch 1)« der einstigen Hamburger Punkband Slime ist draußen
Von Norman Philippen
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Slime live in Kiel im Februar 2019

Mit 13 freute ich mich mal, vor dem »City Center« der rheinländischen Kreisstadt, in der ich das Dasein fristete, die Melanie D. zu treffen. Wollte ich eigentlich rein ins Center, um »Schweineherbst« (1994), das fünfte Album der Hamburger Punkband Slime, zu kaufen, meinte Melanie, ihr Freund Marc M. habe das schon und würde mir es sicher zwecks Kopie leihen. Cool, meinte ich, der sich die Platte dann auch kopieren konnte.

Die gefiel mir fast so gut wie »Viva la muerte« (1992), weil für Kompositionen und Texte maßgeblicher als für die ersten drei Alben wieder Drummer Stephan Mahler (1981–1983/1991–1994 bei Slime) verantwortlich zeichnete. Zwar weniger druckvoll als die vorherige, vom Ärzte-Gitarristen Rodrigo González besorgte Produktion, hatte sich die Band mit »Schweineherbst« dank Mahler weiter von den Parolen der ersten Jahre weg und hin zu komplexeren Kompositionen bewegt. Damit aber auch zu sehr Richtung Popularität für Mahler, der kein Rockstar sein wollte und der Band, die er 1994 dann auch verließ, kein kreatives Wachstum mehr zutraute.

Recht sollte er behalten, ohne den Slime nicht einmal die Punkrevivalwelle von 1994 ff. zu nutzen wusste, kreativ auf Trockendock zu liegen kam und nur dank vergangener Tage Ruhm weiterexistierte. Erst 2012 gab es ein neues Studioalbum (»Sich fügen heißt lügen«), dessen gute Textzeilen nun beim Anarchisten Erich Mühsam entliehen wurden. Für »Hier und Jetzt« (2017) holten Slime sich reichlich Verstärkung, etwa mit Pablo und Carlos Charlemoine der Heidelberger Band Irie Révoltés. So entstand, vielen Features sei Dank, der facettenreichste, mit Reggae- und HipHop-Elementen ergänzte, in den Hardcore-Passagen auch raffinierteste Longplayer der Diskographie. Auch wenn frischer die Slimer nie klangen, tönte das siebte Album statt nach dessen Titel textlich wie musikalisch zu deutlich nach »Dort und damals«, als dass zukünftig Aktuelleres als eine AfD-Antihaltung zu antizipieren gewesen wäre.

Und dann erfrischte sich die Band doch noch. 2020 verließ Dirk »Diggen« Jora Slime, die er damit für tot erklärte, um sich fortan als »So-war-das-damals-Performer« nostalgisch zu verdingen. Ersetzt wurde er durch den US-amerikanisch-deutschen Sänger Tex Brasket (Jahrgang 1980), dessen in Kreuzberg verbrachte Exobdachlosigkeit nun auf der zweiten Post-»Diggen«-Platte für frische Straßencredibilität sorgt. Sowie wieder für eine Stimme, die aus der Band eine macht, die den 1994 von Mahler geäußerten Wunsch nach einer neue Impulse signalisierenden Neubenennung hätte beherzigen sollen. Kam Slime doch mit Joras Gesang jedes Spezifikum im Grunde abhanden. Zwar kam mit Alex Schwers (ab 2010) an den Drums ein prägnanter Wums ins Spiel, doch wer könnte behaupten, mit »3!+7(hoch 1)« eine Slime-Platte zu hören, ohne zuvor etwas vom Sängeraustausch gehört respektive das Albumcover gesehen zu haben?

Nun, vielleicht die Riege der Rezensenten, die clever genug ist, den Albumtitel auszurechnen, aber nicht die Diskographie durchzählen kann, und deshalb auch behauptet, hier läge Slimes 13. Studioalbum vor. Tatsächlich nämlich ist es erst das zehnte. Darauf allerdings sind 13 neue Songs. Und die klingen so aufregend neu wie die Erkenntnis, dass 13 eine laut Zahlentheorie »glückliche« Primzahl ist – und also standhaft unteilbar. Eine Glücks- sowie Unglückszahl ist ein Symbol für Unvollständigkeit und Wandel, religiös und mythologisch aufgeladen bis zum Bersten, und als Chiffre für Rebellion, Außenseitertum und Geheimwissen in der Popkultur daher äußerst populär!

Über geheimes Wissen muss indes niemand verfügen, der mit dem ersten Song »Armes Deutschland« und den Zeilen »Du kannst uns gar nicht weiter an den Rand drängen / Wir sind immer noch ’ne motherfucking Punkband / Das ist der Anfang vom Ende des Anfangs / Unüberhörbare Quelle des Widerstands« bereits weiß: Stimmt alles nicht. Statt randständig rebellischer oder auch nur irgendwie relevanter Botschaften ist nur konsenssatter Betroffenheitsdeutschrock aus politisch ultrabequemer Position zu hören, dessen PR-Versprechen einer radikalen Unvorhersehbarkeit sich allein in der tatsächlich unerwartet heftigen Breitseite der gegebenen Selbstreferenzialität einer einstigen Szenegröße einlöst, die es besser als »Diggen« tun und von damals nur noch sprechen statt singen sollte.

Anstatt sich das anzuhören, kann man sich auch einfach daran erinnern, mal 13 gewesen zu sein, sich seines guten Gedächtnisses erfreuen und nostalgisch den Refrain des ­Slime-Songs »Linke Spießer« brüllen: »Ihr seid nichts als linke Spießer / Ich frag’ mich, was wart ihr früher / Ihr seid nichts als linke Spießer / Ihr habt nichts dazugelernt / Ihr seid nichts als linke Spießer / Eigentlich wart ihr es schon immer …« Aber nicht zu laut. Denn man ist ja keine 13 mehr.

Slime: »3!+7(hoch 1)« (Slime-Tonträger)

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