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Projekte

Von Helmut Höge
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Der Politologe Wilhelm Hennis legte 1994 eine Neuinterpretation von Goyas »Capricho 43« mit der Inschrift »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer« vor: »Es sind die Träume der Projekte realisierenden Vernunft, die Ungeheuer produzieren«, nicht der Schlaf. Das spanische »sueño« bedeutet sowohl »Schlaf« als auch »Traum«. Im Zusammenhang des Caprichos stehen sie jedoch im Gegensatz. Die Linke hat Goyas »Capricho 43« immer wieder gerne aufgegriffen, denn der Schlaf der Vernunft, das hieß: Wir haben das Wissen, das not tut, aber die da oben pennen. Hennis’ Bestehen darauf, dass sich »sueño« mit Traum übersetzt, bedeutet, dass wir die Penner sind, weil wir auch ständig irgendwelche Projekte in petto haben. Unser Habitus ist ein Projekt geworden, und sei es retrospektiv als Roman – dann ist es ein Romanprojekt. Selbst im Kindergarten gibt es jetzt schon »Projektwochen«, und Autoren sprechen bei der Lektüre eines dünnen Bestsellers von ihrem »Rezensionsprojekt«, ja, sogar die Ehe und Familie sind inzwischen Projekte geworden. Der Hintergrund dafür ist eine scheinbar neue Freiheit: Der Sohn eines Stahlarbeiters, der Stahlarbeiter wird, würde dabei nicht von einem »Projekt« gesprochen haben. Praktisch begann der allgemeine Projektschwurbel 1974 zum Beispiel mit dem »Projektstudium« (an der Uni Bremen), das von Linken im Planungsausschuss projektiert wurde.

Die Projekte entstanden in der Renaissance, indem das Handwerk sich aufspaltete: Ein Großteil sank zu Lohnabhängigen ab, einige wenige schafften den Aufstieg als Künstler/Architekten und Wissenschaftler (Mathematiker) – sie machten sich mit ihrem Können selbständig, verkauften ihre Projekte fürderhin. Die Künstler an die Fürsten, die Wissenschaftler an die Bauherren, die es mit »ihren« (Festungsbau‑)Arbeitern umsetzten. Eine Trennung zwischen Kopf- und Handarbeitern wurde da vollzogen. Inzwischen leben wir bereits in »nachgesellschaftlichen« Projektwelten.

Als Wort taucht das Projekt erst bei Shakespeare auf: Die Ermordung Hamlets wird von Claudius – vielleicht bereits ironisch – als ein »Projekt« bezeichnet. Berühmte »Projektemacher« des 17. Jahrhunderts waren Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Joachim Becher. Sie führten schon eine »nomadische Existenz«. Praxis und Theorie von Projekten loteten zuerst Gottlieb von Justi und dann Daniel Defoe aus. Letzterer landete mehrmals im Gefängnis, weil seine Projekte scheiterten. 1697 veröffentlichte er seinen berühmt gewordenen »Essay upon Projects«.

Ab dem 18. Jahrhundert wird die Sicht auf die Projektemacher kritischer: Sie versprechen den Fürsten das Blaue vom Himmel, um an Geld zu kommen. Noch die heutigen Begutachter von »Projektanträgen« können davon ein Lied singen. Zuletzt war es der Architekt Herman Sörgel, der das Mittelmeer trockenlegen wollte und dieses Projekt von Hitler bis zu Kennedy allen Mächtigen nahelegte, die er zu fassen bekam – zum Glück vergeblich. Ein ähnliches Großprojekt diskutierten die Sowjets: eine Umdrehung der großen sibirischen Flüsse, um die zentralasiatischen Republiken zu bewässern. Auf einem Symposium über »Projekte« in Stuttgart wurde über einen Projektemacher referiert, der sein ganzes Geld für den Ruhm ausgab: der Schöpfer der Welteislehre Hanns Hörbiger. Ende des 19. Jahrhunderts wimmelte es von solchen Welterklärungsprojekten – in denen es stets um die »Restlosigkeit« ging. Während es in Goethes »Faust II« das Volk war, das sich über Fausts »Papiergeldprojekt« lustig machte, ist es bei den Welterklärern umgekehrt die Wissenschaft, die sie verlächerlicht.

Der Veranstalter des »Projekte«-Symposiums, Markus Krajewski, hatte ein Buch über »Weltprojekte um 1900« (Esperanto, Weltzeit, Weltstandard usw.) veröffentlicht, davor einen Sammelband über »Projektemacher«. Darin findet sich unter anderem ein Aufsatz des Germanisten Georg Stanitzek, der bereits 1987 das Comeback des opportunistischen Projektemachers ahnte – als »Ich-AGs«, wie sie seit 2005/Hartz IV heißen. Hintergrund dafür war und ist die »Freisetzung« von Zigmillionen Werktätigen durch die dritte industrielle Revolution. Die jetzt noch dank KI weitere Millionen »freisetzen« wird. Es ist dies ein Projekt von John Mc-Carthy, der 1956 in New Hampshire das »Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence« organisierte. »Selbst in der Philosophie ist sie dauerpräsent«, schrieb die junge Welt kürzlich. Ich seh’ davon noch nichts, außer dass in den Facebook-Reels die Mädels plötzlich alle riesengroße Brüste haben.

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