Rot sehen als Chance
Von Niki Uhlmann
So viel junges Publikum hat die Maigalerie des Verlags 8. Mai selten beehrt. Allein am Freitag sind rund 300 Gäste gekommen, um rot zu sehen, der Vernissage der Ausstellung »Wir sehen rot« des gleichnamigen und -farbigen Roten Ateliers beizuwohnen.
»Wir sehen rot heißt, dass keine zwei Sekunden vergehen, in denen uns keine schlechten Nachrichten erreichen«, begrüßte Clara die Besucher markig. Medial seien es Bilder »blutgetränkter Straßen«, die nur ein »Fragment des ganzen Elends« ausmachten und keinen Abend zuließen ohne »die Sorge um die Frage, wann unsere Freunde, Geschwister oder Eltern das gleiche Schicksal ereilt«. Unmittelbar gehe es um Verhaftungen und Prügel bei Protesten, Razzien bei Genossen oder, schlimmer noch, Abschiebungen von Bekannten, die eine »unbegreifliche Wut über das Unrecht des Imperialismus« auslösten.
Diese Wut gelte es produktiv zu machen: »Wenn wir nicht dagegen kämpfen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu Hause zu verkriechen, bis uns auch das genommen wird.« Hoffen und Bangen genüge nicht, zum Subjekt der Geschichte müsse man werden: »Also sehen wir rot, wenn wir auf die Straßen gehen und unsere Fahnen hissen, rot wie das Blut in unseren Herzen, die nach Gerechtigkeit streben.« Diesem Kampf ist die Ausstellung gewidmet. »Das uns angetane Unrecht macht uns nicht klein – es macht uns groß, wenn wir lernen, dagegen aufzustehen.«
Diesem Kampfgeist wurde ein Gemälde gewidmet, auf dem zwei Genossinnen der Kommunistischen Partei der Philippinen ihre Hochzeit unter einer mit Hammer und Sichel gezierten Sonne mit einem Kuss besiegeln. Umringt sind sie von bewaffneten Revolutionären, die ihre Gewehre demütig und schützend im Anschlag halten, als wollten sie die Liebenden um jeden Preis verteidigen. Das zweieinhalb mal drei Meter messende Bild füllte den kleinen Nebenraum der Maigalerie mit dem revolutionären Ideal wahrer Vereinigung: Liebe abseits der ewig währenden Konkurrenz ist eine Utopie, die erst erkämpft und dann verteidigt werden muss, die als Versprechen doch schon jetzt voll entfesselnder Sprengkraft scheint.
Konkretere Botschaften sendete eine Fülle von Plakaten und Illustrationen, die die Wände in ein politisches Manifest gegenwärtiger Bewegungen verwandelt hatten. »Iss deinen Vermieter«, riet den Besuchern ein postkartengroßer Aushang nebst Karikatur eines dampfenden Schlipsträgers mit Apfel im Maul. »Meine Söhne geb’ ich nicht«, erinnerte ein Plakat an gute Gründe, sich an der Front nicht für die BRD verheizen zu lassen. Für dessen doppelten Boden sorgte der abgebildete, diabolisch grinsende Fritze Merz, dessen Kinder vom Staat, wenn überhaupt, dann nur fürs Sesselfurzen im Generalstab eingezogen werden dürften.
Obwohl abgedroschene Volkskriegsromantik wie auch makabre Kannibalismusappelle eine gewisse Hilflosigkeit der oftmals auf verlorenem Posten kämpfenden Linken durchscheinen lassen, wurde offenbar, dass das Rote Atelier Ausdrucksweisen wieder- und neu erfindet, die Menschen in ihren Bann ziehen können. Die revolutionäre Funktion der Kunst wurde mit einem aus Beirut zugeschalteten Mitglied der Gruppe Cartoonists for Palestine verhandelt. Demnach sei »Kunst die Waffe derer, die nicht schießen wollen«, und als solche ein nicht zu unterschätzendes Mittel der Subversion, das Herrschende »fürchteten, weil es die Utopie vergegenwärtigt«, die neoliberale Zurichtung des Alltagsverstands durchbricht.
Einige Programmpunkte mussten mangels Platz und behördlichen Auflagen leider andernorts stattfinden, wanderten kurzfristig in die Kneipe Bandito Rosso oder in das besetzte Haus Linie 206, als Symbole interkiezionaler Solidarität sozusagen. Dass letztere und auch Kunst selbst nicht ausreichen, hat das Rote Atelier natürlich begriffen. Rund 5.000 Euro Spenden für den palästinensischen Rechtshilfeverein 3ezwa und die Kommunistische Partei Palästinas wurden gesammelt.
Die Ausstellung »Wir sehen rot« ist in der Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin (Nähe Rosa-Luxemburg-Platz), noch bis 19. September zu besichtigen, mittwochs bis freitags jeweils von 13 bis 18 Uhr.
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