Bauturbo im Leerlauf
Von Oliver Rast
Der Wohnungsbau in Deutschland liegt brach. Fast jedenfalls. Dabei verspricht die Bundesregierung Tempo, doch gebaut wird vor allem dort, wo es sich rentiert – nicht dort, wo Wohnraum gebraucht wird. Allemal bezahlbarer. Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts vom Montag sind eindeutig: Im ersten Halbjahr 2025 wurden gerade einmal 57.300 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern genehmigt. Ein Plus von 0,1 Prozent. Das sind 57 Wohnungen mehr als im Vorjahreszeitraum.
Während die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um 14,1 Prozent stieg, bleibt jene im Mietwohnungsbau im Keller. Bemerkenswert: Rund zwei Drittel des Neubaus entfallen auf Mehrfamilienhäuser. Doch genau hier passiert zuwenig. Zwischen 2021 und 2024 brach das Genehmigungsvolumen bereits um über 40 Prozent ein. Jetzt: Stagnation auf niedrigstem Niveau. Die Krise ist strukturell, wird aber politisch unterschiedlich interpretiert.
Der sogenannte Wohnungsbauturbo der »schwarz-roten« Koalition ist Teil der »Reform« des Baugesetzbuchs, sprich der Lockerung von Bauvorschriften samt -standards. Einen Gesetzentwurf hatte Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) Mitte Juni präsentiert. Aber: »Allein der politische Wille baut keine Wohnung«, sagte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer vom Hauptverband der Bauindustrie, am Montag gegenüber jW. Mehr noch, alles, was nicht 2025 angestoßen werde, habe für den Wohnungsbaumarkt kaum noch einen Effekt in dieser Legislaturperiode.
Ähnlich äußerte sich gleichentags Felix Pakleppa vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe: Von einer Trendwende könne keine Rede sein. »Der Wohnungsbau tritt auf der Stelle.« Im ersten Halbjahr wurden insgesamt 110.000 Wohnungen (plus 2,9 Prozent) genehmigt. Klingt nach Fortschritt – ist aber Augenwischerei. 2021 und 2022 waren es jeweils mehr als 185.000. Die Bauwirtschaft bleibe im Zangengriff hoher Zinsen, explodierender Baukosten und fehlenden Vertrauens in die Förderpolitik, meint Pakleppa.
Hinzu kommt: In den sieben A- Städten – den größten und wirtschaftlich stärksten deutschen Metropolen – schrumpfte die Fläche verkauften Baulands von 5,85 Millionen Quadratmetern (2011) auf 1,63 Millionen (2024), weiß Müller. Ein Rückgang um drei Viertel. Wer bauen will, findet keinen Platz – oder kann ihn nicht bezahlen. Gleichzeitig liegt ein genehmigter Bauüberhang von rund 900.000 Wohnungen vor. Investoren und Projektentwickler halten sich zurück, Kommunen und deren Verwaltung sind überfordert; kurz: Die Wohnungsnot bleibt akut. Pakleppa: »Es ist höchste Zeit für den zweiten Bauturbo, der das Bauen einfacher und günstiger macht.«
Was sagt der Deutsche Mieterbund (DMB)? Der angekündigte Bauturbo garantiere nicht, dass bezahlbare Mietwohnungen entstünden, warnte die DMB-Präsidentin Melanie Weber-Moritz bereits am vergangenen Donnerstag. »Im Gegenteil, er trägt in seiner jetzigen Fassung dazu bei, Schutzinstrumente für Mieterinnen und Mieter in Milieuschutzgebieten auszuhebeln.«
Katalin Gennburg (Die Linke) sieht das ähnlich. »Die Antwort auf die Krise der Bauwirtschaft kann aus linker Sicht nur die Stärkung des öffentlichen Wohnungsbaus sein und ein starkes Baurecht«, so die baupolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion kürzlich gegenüber jW. Denn statt wohlfeiler Bitten an die Immobilienlobby brauche es Bauverpflichtungen, Umbaugebote und Abrissverbote. »Der Bauturbo soll aber gerade diese Planungsinstrumente beschneiden, statt sie zu schärfen.« Gennburg: Mit dem Kabinettsbeschluss verabschiede sich die Bundesregierung vom Grundsatz demokratischer Mitbestimmung in der Stadtplanung.
Fazit: Es brauche keinen Turbo im Leerlauf, sondern einen echten Umbau. Kommunale, landeseigene Wohnungsunternehmen müssen gestärkt, Boden gemeinwohlorientiert vergeben, Leerstand konsequent umgebaut werden. »Enteignungsgleiche Eingriffe« dürften kein Tabu sein, betonte Gennburg. Gewissermaßen eine Law-and-Order-Politik von links – im Sinne des Bau- und Bodenrechts.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. August 2025 um 22:11 Uhr)Wie mir Herr Ki von Google auf Anfrage mitteilt, war die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in Deutschland im Jahr 2022 bei 55,4 Quadratmetern (Statistisches Bundesamt). Ich bin (als Einzelkind), Jahrgang 1949, in einer Dreizimmerwohnung von 65 qm aufgewachsen. Also: ungefähr 22 qm haben mir und meinen Eltern 18 Jahre lang pro Person gereicht, Fleisch gab es auch nicht so viel wie heute. Manchmal frage ich mich, ob eine 80-jährige Rentnerin in einer 135-qm-Wohnung wohnen muss, Stichwort: Mobilität. Das ist ein Strang der Diskussion. Der andere: Wie sieht es mit »aufstocken« aus? Also mit Verdichtung im Bestand? Dachgeschoss ausbauen, ein Stockwerk draufsetzen? Da ist allerhand Luft drin. Nur packt keine diese Themen an. Da müsste man aber nicht nur denken...
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