»Ihre Forderungen bekommen viel Unterstützung«
Interview: Dieter Reinisch
Im Vereinigten Königreich hat sich größerer Protest gegen das Verbot der Gruppe »Palestine Action«, kurz PA, formiert. Auf welcher Rechtsgrundlage wurde sie Anfang Juli für illegal erklärt?
Das basiert auf dem »Terrorism Act 2000«. Die entscheidende Frage ist die Definition von Terrorismus. Das Gesetz fasst darunter Taten wie Massenmord oder versuchten Massenmord, Gewalt gegen Personen und ähnliches. Es wurde aber auch so formuliert, dass es auf große Sachbeschädigungen anwendbar ist, deren Ziel nicht notwendigerweise ist, Personen zu schaden. Denn, so wird argumentiert, wenn Schäden an Einrichtungen wie Atomkraftwerken oder dem Elektrizitätsnetz besonders groß sind, kann eine große Zahl von Menschen zu Schaden kommen. Das bedeutet dann aber auch, dass eine Organisation verboten werden kann, deren ausschließliches Ziel der Schaden an Eigentum und Infrastruktur ist.
Muss es sich um Handlungen mit politischem Hintergrund handeln?
Aktionen der Mafia, die rein kriminell sind, sind damit ausgenommen. Es muss sich um politische Ziele handeln. Dadurch fällt Palestine Action unter diese Definition.
Was wirft Innenministerin Yvette Cooper der Gruppe vor?
Besonders drei Aktionen dienten der Innenministerin als Grund für das Verbot: Der Auslöser war wohl eine Aktion bei der Royal Air Force, als Militärflugzeuge beschädigt wurden. Dann gab es in Farley, in der Nähe von Glasgow, eine Aktion bei einem Waffenproduzenten. Dort wurde Pyrotechnik in einer Art und Weise verwendet, die auch zu Personenschäden hätte führen können. Die dritte Aktion war in Nordlondon. Dort wurde ein Betrieb attackiert, der Verbindungen zu einer Firma hat, die Waffen nach Israel liefert. Bei den Angriffen sei brennbares Material in einer verantwortungslosen und gefährlichen Art und Weise verwendet worden. Ebenso kann argumentiert werden, dass großer Sachschaden an Gebäuden Personen direkt schädigen kann, die dort etwa als Angestellte tätig sind. In diesen Zusammenhängen wird es bald mehrere Prozesse gegen PA-Mitglieder geben. Wir werden sehen, was dort bekannt wird.
Sie kritisierten in einem Kommentar die Auswirkungen des Verbots.
Das Problem ist, dass Mitgliedschaft und Aktivität in der Organisation selbst strafbar gemacht werden. Die grundlegende Frage ist, was in einer demokratischen Gesellschaft erlaubt sein soll. Wenn wir uns eine andere Organisation mit ähnlichen Taktiken wie zum Beispiel »Just Stop Oil«, ansehen, erkennen wir, dass deren Aktionen weniger schwerwiegend und weitreichend sind, PA aber eine gewisse Schwelle zum Terrorismus überschritten haben soll. Worauf sich diese Annahme bezieht, können wir aber nicht sagen, da die Informationen vom Geheimdienst unter Verschluss gehalten werden.
Ist dies der Grund, warum Sie den »Terrorism Act« als problematisch ansehen?
Die Forderungen von PA bekommen viel Unterstützung. Es gibt Leute, die sagen: »Sie stehen auf der richtigen Seite der Geschichte.« Auch gab es einen älteren Pfarrer, der ein Schild mit der Aufschrift »Ich unterstütze Palestine Action« hochhielt. Das Gesetz in seiner aktuellen Form macht derartige Bekundungen zur Straftat. Besonders bei Themen, die sehr viele Leute unterstützen, kann dies ein Problem werden. Denn die Trennlinie, was Unterstützung für PA und was Unterstützung für Palästina ist, kann nicht immer klar gezogen werden.
Wenn ein Gesetz dazu führt, dass greise Priester verhaftet werden, weil sie Schilder hochhalten, ist es dumm. Es kann zu einer weiteren Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung kommen. Es gibt Berichte, dass Personen, die auf eine Palästinademonstration gehen, gewarnt werden, dass sie dadurch eine Straftat begehen könnten. Selbstverständlich fällt dies nicht unter das Gesetz, aber es gibt immer besonders enthusiastische Polizeibeamte.
Zeigen diese Versuche, Menschen zu verunsichern, Wirkung auf die britische Palästina-Bewegung?
Ich bemerke in meinen Gesprächen unter Labour-Mitgliedern, dass viele nicht mehr wissen, ob sie öffentlich noch sagen können, dass sie Palästina unterstützen, oder dass Israel (in Gaza, jW) Völkermord begeht. Das ist ein sehr gefährlicher Trend.
George Peretz ist Jurist in London und Vorsitzender der »Gesellschaft der Labour-Anwälte« (The Society of Labour Lawyers)
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Isabel Infantes/REUTERS31.07.2025
London droht mit Anerkennung
- Toby Melville/REUTERS31.07.2025
London macht sich seine Terroristen selbst
- i Images/IMAGO29.07.2025
Hoffnung für Linke
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Gaza vor der Besetzung
vom 19.08.2025 -
Politisches Erdbeben in Srpska
vom 19.08.2025 -
Burkina Faso zieht Bilanz
vom 19.08.2025 -
Mehrfache Krise
vom 19.08.2025 -
Hoffnung für Gaza
vom 19.08.2025