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Aus: Ausgabe vom 16.08.2025, Seite 15 / Geschichte
Komintern

Späte Kurskorrektur

Die Wende zur Volksfront: Vor 90 Jahren ging der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale zu Ende
Von Werner Abel
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Stalin (l.) und Dimitroff (3. v. l.) beim VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935

Im Juli 1935 erschien in Moskau in der »Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR«, herausgegeben vom Büro des Sekretariats des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI), eine Zusammenstellung von Materialien mit dem Titel »Die Kommunistische Internationale vor dem VII. Weltkongress«. Zu keinem der vorhergehenden Weltkongresse hatte es eine ähnliche Veröffentlichung gegeben. Die außergewöhnliche Publikation verweist darauf, wie gravierend die Wende in der Politik der Komintern Mitte der 1930er Jahre war.

Das Buch, das auch die aktuelle Situation und Entwicklung aller der Komintern angeschlossenen Parteien (Sektionen) beschrieb und deren »Bolschewisierung« als abgeschlossen erklärte, ging im einführenden Teil auf die internationale Entwicklung seit dem VI. Weltkongress der Komintern (1928) ein. Auf diesem Kongress, der auf eine scharfe Linkswendung der Komintern orientierte, war die Politik der »Klasse gegen Klasse« und die Ablehnung der Politik der Einheitsfront beschlossen worden. Damit sollten sich die kommunistischen Parteien vor allem von den Sozialdemokraten abgrenzen, denen – in vielen Fällen sicher zu Recht – Kollaboration mit reaktionären Kreisen der Bourgeoisie vorgeworfen wurde. Mit der Vertiefung der kapitalistischen Krise wäre eine Einheitsfront kommunistischer und sozialdemokratischer Parteien aber dringend notwendig gewesen. Eine solche Einheit wurde von sozialdemokratischer Seite in der Regel abgelehnt, was die Kommunisten in ihrer These bestärkte, es handele sich bei den Sozialdemokraten um »Sozialfaschisten«. Das war wiederum für sozialdemokratische Funktionäre ein willkommenes Argument gegen die Aktionseinheit, und verschreckte auch viele Arbeiter.

In dem Komintern-Buch wurde zwar noch davon ausgegangen, dass die sozialdemokratischen Parteien »Wegbereiter des Faschismus« seien, aber gleichzeitig dagegen polemisiert, alles, auch etwa die bürgerlichen Regierungen in Deutschland vor 1933, als »faschistisch« abzustempeln. So kritisierte das EKKI zum Beispiel einen Bericht der Roten Fahne vom Dezember 1930, in dem die Regierung des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning, der am 1. April 1930 dem zurückgetretenen Sozialdemokraten Hermann Müller als Reichskanzler gefolgt war, als »offene faschistische Diktatur« bezeichnet wurde. Damit sei die Aufmerksamkeit der KPD von der wirklichen faschistischen Gefahr in Gestalt der NSDAP abgelenkt worden und die Partei schlecht vorbereitet gewesen auf die Ereignisse nach dem Reichstagsbrand und der Machtübergabe an die Nazis.

Eine Partei von 360.000 eingeschriebenen und davon 252.000 aktiven Mitgliedern in die Illegalität zu überführen und einen effektiven Widerstand zu organisieren, war in kurzer Zeit schlicht unmöglich. Die KPD tat sich lange schwer, die katastrophale Niederlage als solche zu begreifen. Einige Funktionäre meinten gar, die Nazis würde nur wenige Monate an der Macht bleiben. Aber nachdem der Faschismus seine Stellung auch in Deutschland mit äußerster Brutalität gefestigt hatte, wurde es höchste Zeit, zu bestimmen, wie dieses neue Stadium kapitalistischer Herrschaft zu charakterisieren sei.

In die Ecke gedrängt

Als am 25. November 1933 die Außerordentliche Sitzung des Präsidiums des EKKI den Thesenentwurf für das XIII. Plenum des EKKI diskutierte, wurde in einer der Thesen der Faschismus definiert als »die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Diese Definition wurde dann, nachdem sie EKKI-Sekretär Otto Kuusinen vorgetragen hatte, auf dem XIII. Plenum des EKKI angenommen, und bestimmte auch die Inhalte des eingangs genannten Buches. Auf dem VII. Weltkongress der Komintern, der vom 25. Juli bis zum 20. August 1935 in Moskau tagte, wurde diese Linie bestätigt und damit zur Richtschnur des antifaschistischen Kampfes in den kommenden Jahren.

Obwohl auch weiterhin davon ausgegangen wurde, dass der effektivste Schutz gegen den Faschismus die sozialistische, die Sowjetdemokratie ist, setzte der VII. Weltkongress, der wegen Diskussionen in einzelnen Sektionen mehrfach verschoben worden war, mit dem Kampf gegen den Faschismus, für Demokratie, Arbeitereinheitsfront und antifaschistische Volksfront neue Schwerpunkte. Beobachtern war aufgefallen, dass der Tagungsort nicht wie bei den vorhergehenden Weltkongressen der Kreml, sondern nunmehr die Säulenhalle des Moskauer Gewerkschaftsgebäudes war. Das signalisierte auch, dass die Komintern nicht mehr »Generalstab der Weltrevolution« war, wie sie ihr erster Generalsekretär Grigori Sinowjew einst bezeichnete.

Wohl vertrat der Kongress rund 3.140.000 organisierte Kommunisten in aller Welt, aber die Situation hatte sich verschlechtert. Auf dem XIII.  Plenum waren nur noch 23 legale und halblegale Parteien vertreten sowie 49 in ihren Ländern bereits verbotene Parteien. Die Sowjetunion war international immer noch größtenteils isoliert. Im Februar 1934 hatten sich die österreichischen Sozialisten mit der Waffe in der Hand gegen den Austrofaschismus ebenso gewehrt wie spanische Arbeiter vor allem in Asturien gegen Primo de Rivera und Gil Robles, aber beide Aufstände waren blutig niedergeschlagen worden. Nur in Frankreich konnte 1934 mit einem Generalstreik und später mit einer Volksfront der Faschismus verhindert werden.

Kampf um Verbündete

Das Ausbleiben der Weltrevolution bedeutete, dass die sowjetische Führung auf den Aufbau des Sozialismus in einem Land orientieren musste, der vom VII. Weltkongress als erfolgreich abgeschlossen und als größte Errungenschaft des internationalen Proletariats gewertet wurde. Auf der Weltbühne musste die UdSSR aber Formen der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Demokratien finden, um sich für den drohenden Krieg gegen die faschistischen Staaten zu wappnen. Die Komintern musste also auch darum kämpfen, dass die demokratische Staatsform potentieller Bündnispartner der Sowjetunion erhalten blieb.

Sicher nicht unbeabsichtigt wurden die Hauptreferate auf dem Kongress von erfahrenen Funktionären gehalten, die wie Wilhelm Pieck und Palmiro Togliatti aus dem faschistischen Deutschland und Italien und EKKI-Generalsekretär Georgi Dimitroff aus dem semifaschistischen Bulgarien kamen. Dimitroff betonte, dass der deutsche die reaktionärste Spielart des Faschismus ist, der noch dazu die Dreistigkeit habe, sich Nationalsozialismus zu nennen, obwohl er nichts mit dem Sozialismus gemein habe. Der Faschismus sei »nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern die Ablösung einer Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Demokratie, durch eine andere, durch die offene terroristische Diktatur«.

Um aber das zu verhindern oder beim Sieg des Faschismus diesen bekämpfen zu können, brauche man alle zur Mitarbeit bereiten Kräfte – bis weit in das bürgerliche Lager hinein. Auf Grund dieser Erkenntnis wurde die Politik der Volksfront entwickelt. Aber Dimitroff ging noch weiter: 1932 hatte die KPD die Aufforderung von Heinz Neumann, »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!«, als sektiererisch zurückgewiesen, weil sie die Diskussion mit den »einfachen« Nazis verhindere. Dimitroff empfahl nun, die Taktik des »Trojanischen Pferdes« zu nutzen, um verdeckt in die faschistischen Organisationen einzudringen und diese von innen zu sprengen. Für die deutschen Kommunisten bedeutete das, sich stärker mit der nationalen Frage und dem Friedensvertrag von Versailles auseinanderzusetzen.

Der VII. Weltkongress war der letzte Kongress der Komintern, die sich am 15. Mai 1943 offiziell auflöste. Erhalten aber blieben ihre erfahrenen Funktionäre und ihre umfangreichen materiellen Ressourcen – all das wurde dem antifaschistischen Kampf gegen Hitlerdeutschland zur Verfügung gestellt. Und auch die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland war eine Konsequenz der strategischen Neuorientierung nach 1935.

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  • Leserbrief von Manfred Klingele aus Hamburg (25. August 2025 um 12:43 Uhr)
    Werner Abel geht in seinem Artikel auf »die Wende zur Volksfront« auf dem VII. Internationalen Weltkongress der Kommunistischen Internationale ein. Er erwähnt das Scheitern der Politik der KPD in Deutschland mit dem Sieg der Nationalsozialisten 1933. Dieses Scheitern war eine Folge der KPD-Politik, die die Sozialdemokratie als »Sozialfaschisten« bekämpfte und die Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen den Faschismus ablehnte. Für die Sowjetunion war der Sieg der Nationalsozialisten eine Katastrophe, da Deutschland nun offen mit einem Krieg gegen die Sowjetunion drohte, um sich »Lebensraum im Osten« zu schaffen. In Österreich und Spanien waren Aufstände gegen rechte Regierungen blutig niedergeschlagen worden, wie Abel erwähnt. Die isolierte und bedrohte Sowjetunion musste, so Abel, »Formen der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Demokratien finden, um sich für den drohenden Krieg gegen die faschistischen Staaten zu wappnen«. Er formuliert hier also das außenpolitische Interesse der Sowjetunion, sich im kapitalistischen Umfeld Bündnispartner zu suchen, um nicht alleine dem Angriff gegenüberzustehen, der auf sie zukommen würde. So weit so nachvollziehbar.
    Nun berichtet Abel aber weiter, dass man, »um aber das [den Faschismus] zu verhindern oder beim Sieg des Faschismus diesen bekämpfen zu können, (…) alle zur Mitarbeit bereiten Kräfte – bis weit in das bürgerliche Lager hinein (brauche). Auf Grund dieser Erkenntnis wurde die Politik der Volksfront entwickelt«. Hier stutzt man: Das außenpolitische Interesse des Sowjetstaates diktiert jetzt die Taktik der kommunistischen Parteien außerhalb der Sowjetunion? Das ist doch nicht zwingend! Abel hatte schon vorher im Artikel darauf hingewiesen, dass 1935 die »Bolschewisierung« der Komintern angehörigen Parteien als abgeschlossen erklärt worden war. »Bolschewisierung« hieß aber nichts anderes als Unterordnung unter die Moskauer Zentrale. Und die verordnete eben jetzt aus dem Sicherheitsinteresse der SU heraus, dass die Revolution nicht mehr auf der Tagesordnung stand. Denn eine »Volksfront« mit bürgerlichen Kräften geht nur unter Verzicht auf die Revolution und den Sturz der Eigentumsordnung. Entsprechend gestaltete sich die Politik der KP Frankreichs in der Volksfrontregierung und der KP Spaniens im Bürgerkrieg, die die revolutionären Kräfte zurückdrängte oder sogar aktiv bekämpfte.
    Werner Abel führt dazu an, dass der Tagungsort des Weltkongresses das Moskauer Gewerkschaftsgebäude war und nicht mehr der Kreml. »Das signalisierte auch, dass die Komintern nicht mehr ›Generalstab der Weltrevolution‹ war, wie sie ihr erster Generalsekretär Grigori Sinowjew einst bezeichnete.« Aber Abel ist nicht in der Lage, eins und eins zusammenzuzählen. Dazu gehört auch, dass er an der Faschismusdefinition des Weltkongresses nichts auszusetzen hat, die den Faschismus als »die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« charakterisiert. Die passt nämlich hervorragend zur Volksfront und dem Bündnis mit bürgerlichen Kräften. Denn wenn es Elemente des Finanzkapitals gibt, die »am meisten« reaktionär, chauvinistisch und imperialistisch sind, dann gibt es auch Elemente, die weniger reaktionär, chauvinistisch und imperialistisch sind. Und mit denen kann man dann Volksfront machen.
    Der Faschismus an der Macht ist aber nicht eine Herrschaftsform einer bestimmten Kapitalfraktion. Sondern die Bourgeoisie insgesamt hat die politische Herrschaft der faschistischen Partei übergeben, um ihre ökonomische Macht, um die Eigentumsordnung zu retten. Deshalb muss der Kampf gegen den Faschismus zugleich ein Kampf gegen die Eigentumsordnung sein. Das geht aber nicht mit einer Volksfront. Indem die kommunistischen Parteien die außenpolitischen Interessen der Sowjetunion in den Vordergrund rückten, mussten sie auf den revolutionären Kampf im eigenen Land in letzter Konsequenz verzichten.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans Christoph Stoodt aus Frankfurt am Main (18. August 2025 um 11:29 Uhr)
    Wo hat die Volksfront je gesiegt? Der VII. Weltkongress der KI beschloss eine politische Kursänderung gegenüber dem VI. Weltkongress und dem Programm der Kommunistischen Internationale von 1928 – eine Wende, die als taktische Korrektur angekündigt wurde, faktisch aber eine deutliche Veränderung der politischen Strategie beinhaltete: Zusammenarbeit mit Teilen der Bourgeoisie, Einheitsfrontpolitik mit der Sozialdemokratie auch »von oben«, Verteidigung der bürgerlichen Republik, Anbahnung von Volksfronten gegen den Faschismus wo immer möglich, Eintritt der Kommunisten in Volksfrontregierungen bürgerlicher Republiken wie in Spanien und Frankreich. Damit wurde dem Kampf gegen den Faschismus oberste Priorität eingeräumt. Der Kampf um die sozialistische Revolution trat dahinter zurück. Die Arbeiterklasse stand demzufolge überall nicht mehr vor der Alternative »Kapitalismus oder Sozialismus« sondern vor der Wahl »bürgerliche Republik oder Faschismus«. Nach der Auflösung der Komintern im Mai 1943 wurde diese Wendung quasi allgemeinverbindlicher Weg zum Sozialismus über die Etappe einer »progressiven Demokratie« (Italien, ähnlich Frankreich) oder einer »Wende zum sozialen und demokratischen Fortschritt« / »antimonopolistische Demokratie« (Bundesrepublik) oder in ähnlichen Formen in anderen Ländern. Man bezeichnet ihn zu Recht als »Etapismus«. 90 Jahre nach dem Beginn dieses Wegs ist es legitim, zu fragen: was ist seine Bilanz? In Frankreich und Italien verhinderte er wohl die mögliche Revolution nach dem Sieg über den Faschismus (so Togliattis Einschätzung 1946), er scheiterte in Chile 1973, Portugal 1974. Im System des Eurokommunismus führte er bis zur Selbstauflösung und ist bislang auch auf dem Weg der antimonopolistischen Strategie (!) weit von den selbstgesetzten Zielen entfernt. Also: Wo hat die Volksfront je gesiegt? Veranstaltung: https://www.marx-engels-stiftung.de/veranstaltungen/eventdetail/290/-/der-vii-weltkongress-der-kommunistischen-internationale-1935

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