Späte Kurskorrektur
Von Werner Abel
Im Juli 1935 erschien in Moskau in der »Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR«, herausgegeben vom Büro des Sekretariats des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI), eine Zusammenstellung von Materialien mit dem Titel »Die Kommunistische Internationale vor dem VII. Weltkongress«. Zu keinem der vorhergehenden Weltkongresse hatte es eine ähnliche Veröffentlichung gegeben. Die außergewöhnliche Publikation verweist darauf, wie gravierend die Wende in der Politik der Komintern Mitte der 1930er Jahre war.
Das Buch, das auch die aktuelle Situation und Entwicklung aller der Komintern angeschlossenen Parteien (Sektionen) beschrieb und deren »Bolschewisierung« als abgeschlossen erklärte, ging im einführenden Teil auf die internationale Entwicklung seit dem VI. Weltkongress der Komintern (1928) ein. Auf diesem Kongress, der auf eine scharfe Linkswendung der Komintern orientierte, war die Politik der »Klasse gegen Klasse« und die Ablehnung der Politik der Einheitsfront beschlossen worden. Damit sollten sich die kommunistischen Parteien vor allem von den Sozialdemokraten abgrenzen, denen – in vielen Fällen sicher zu Recht – Kollaboration mit reaktionären Kreisen der Bourgeoisie vorgeworfen wurde. Mit der Vertiefung der kapitalistischen Krise wäre eine Einheitsfront kommunistischer und sozialdemokratischer Parteien aber dringend notwendig gewesen. Eine solche Einheit wurde von sozialdemokratischer Seite in der Regel abgelehnt, was die Kommunisten in ihrer These bestärkte, es handele sich bei den Sozialdemokraten um »Sozialfaschisten«. Das war wiederum für sozialdemokratische Funktionäre ein willkommenes Argument gegen die Aktionseinheit, und verschreckte auch viele Arbeiter.
In dem Komintern-Buch wurde zwar noch davon ausgegangen, dass die sozialdemokratischen Parteien »Wegbereiter des Faschismus« seien, aber gleichzeitig dagegen polemisiert, alles, auch etwa die bürgerlichen Regierungen in Deutschland vor 1933, als »faschistisch« abzustempeln. So kritisierte das EKKI zum Beispiel einen Bericht der Roten Fahne vom Dezember 1930, in dem die Regierung des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning, der am 1. April 1930 dem zurückgetretenen Sozialdemokraten Hermann Müller als Reichskanzler gefolgt war, als »offene faschistische Diktatur« bezeichnet wurde. Damit sei die Aufmerksamkeit der KPD von der wirklichen faschistischen Gefahr in Gestalt der NSDAP abgelenkt worden und die Partei schlecht vorbereitet gewesen auf die Ereignisse nach dem Reichstagsbrand und der Machtübergabe an die Nazis.
Eine Partei von 360.000 eingeschriebenen und davon 252.000 aktiven Mitgliedern in die Illegalität zu überführen und einen effektiven Widerstand zu organisieren, war in kurzer Zeit schlicht unmöglich. Die KPD tat sich lange schwer, die katastrophale Niederlage als solche zu begreifen. Einige Funktionäre meinten gar, die Nazis würde nur wenige Monate an der Macht bleiben. Aber nachdem der Faschismus seine Stellung auch in Deutschland mit äußerster Brutalität gefestigt hatte, wurde es höchste Zeit, zu bestimmen, wie dieses neue Stadium kapitalistischer Herrschaft zu charakterisieren sei.
In die Ecke gedrängt
Als am 25. November 1933 die Außerordentliche Sitzung des Präsidiums des EKKI den Thesenentwurf für das XIII. Plenum des EKKI diskutierte, wurde in einer der Thesen der Faschismus definiert als »die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Diese Definition wurde dann, nachdem sie EKKI-Sekretär Otto Kuusinen vorgetragen hatte, auf dem XIII. Plenum des EKKI angenommen, und bestimmte auch die Inhalte des eingangs genannten Buches. Auf dem VII. Weltkongress der Komintern, der vom 25. Juli bis zum 20. August 1935 in Moskau tagte, wurde diese Linie bestätigt und damit zur Richtschnur des antifaschistischen Kampfes in den kommenden Jahren.
Obwohl auch weiterhin davon ausgegangen wurde, dass der effektivste Schutz gegen den Faschismus die sozialistische, die Sowjetdemokratie ist, setzte der VII. Weltkongress, der wegen Diskussionen in einzelnen Sektionen mehrfach verschoben worden war, mit dem Kampf gegen den Faschismus, für Demokratie, Arbeitereinheitsfront und antifaschistische Volksfront neue Schwerpunkte. Beobachtern war aufgefallen, dass der Tagungsort nicht wie bei den vorhergehenden Weltkongressen der Kreml, sondern nunmehr die Säulenhalle des Moskauer Gewerkschaftsgebäudes war. Das signalisierte auch, dass die Komintern nicht mehr »Generalstab der Weltrevolution« war, wie sie ihr erster Generalsekretär Grigori Sinowjew einst bezeichnete.
Wohl vertrat der Kongress rund 3.140.000 organisierte Kommunisten in aller Welt, aber die Situation hatte sich verschlechtert. Auf dem XIII. Plenum waren nur noch 23 legale und halblegale Parteien vertreten sowie 49 in ihren Ländern bereits verbotene Parteien. Die Sowjetunion war international immer noch größtenteils isoliert. Im Februar 1934 hatten sich die österreichischen Sozialisten mit der Waffe in der Hand gegen den Austrofaschismus ebenso gewehrt wie spanische Arbeiter vor allem in Asturien gegen Primo de Rivera und Gil Robles, aber beide Aufstände waren blutig niedergeschlagen worden. Nur in Frankreich konnte 1934 mit einem Generalstreik und später mit einer Volksfront der Faschismus verhindert werden.
Kampf um Verbündete
Das Ausbleiben der Weltrevolution bedeutete, dass die sowjetische Führung auf den Aufbau des Sozialismus in einem Land orientieren musste, der vom VII. Weltkongress als erfolgreich abgeschlossen und als größte Errungenschaft des internationalen Proletariats gewertet wurde. Auf der Weltbühne musste die UdSSR aber Formen der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Demokratien finden, um sich für den drohenden Krieg gegen die faschistischen Staaten zu wappnen. Die Komintern musste also auch darum kämpfen, dass die demokratische Staatsform potentieller Bündnispartner der Sowjetunion erhalten blieb.
Sicher nicht unbeabsichtigt wurden die Hauptreferate auf dem Kongress von erfahrenen Funktionären gehalten, die wie Wilhelm Pieck und Palmiro Togliatti aus dem faschistischen Deutschland und Italien und EKKI-Generalsekretär Georgi Dimitroff aus dem semifaschistischen Bulgarien kamen. Dimitroff betonte, dass der deutsche die reaktionärste Spielart des Faschismus ist, der noch dazu die Dreistigkeit habe, sich Nationalsozialismus zu nennen, obwohl er nichts mit dem Sozialismus gemein habe. Der Faschismus sei »nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern die Ablösung einer Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Demokratie, durch eine andere, durch die offene terroristische Diktatur«.
Um aber das zu verhindern oder beim Sieg des Faschismus diesen bekämpfen zu können, brauche man alle zur Mitarbeit bereiten Kräfte – bis weit in das bürgerliche Lager hinein. Auf Grund dieser Erkenntnis wurde die Politik der Volksfront entwickelt. Aber Dimitroff ging noch weiter: 1932 hatte die KPD die Aufforderung von Heinz Neumann, »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!«, als sektiererisch zurückgewiesen, weil sie die Diskussion mit den »einfachen« Nazis verhindere. Dimitroff empfahl nun, die Taktik des »Trojanischen Pferdes« zu nutzen, um verdeckt in die faschistischen Organisationen einzudringen und diese von innen zu sprengen. Für die deutschen Kommunisten bedeutete das, sich stärker mit der nationalen Frage und dem Friedensvertrag von Versailles auseinanderzusetzen.
Der VII. Weltkongress war der letzte Kongress der Komintern, die sich am 15. Mai 1943 offiziell auflöste. Erhalten aber blieben ihre erfahrenen Funktionäre und ihre umfangreichen materiellen Ressourcen – all das wurde dem antifaschistischen Kampf gegen Hitlerdeutschland zur Verfügung gestellt. Und auch die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland war eine Konsequenz der strategischen Neuorientierung nach 1935.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- TT/IMAGO18.10.2024
Deckname »Ercoli«
- Peter Stein/picture alliance18.03.2023
»Wenn man siegen will, braucht man viele Leute«
- picture alliance/CPA Media18.08.2017
Deckname »Carmen«
Mehr aus: Geschichte
-
Anno … 34. Woche
vom 16.08.2025