Lutz auf dem Abstellgleis
Von Ralf Wurzbacher
Der bevorstehende Führungswechsel bei der Deutschen Bahn (DB) stößt bei Gewerkschaften, Bahn- und Fahrgastverbänden weitgehend auf Zustimmung. »Diese Entscheidung war richtig und unumgänglich«, verlautete von der Lokführergewerkschaft GDL. Der Rückzug von DB-Chef Richard Lutz eröffne die Chance für einen Kurswechsel und die Möglichkeit, »die Ausrichtung der DB neu zu denken«, hieß es von seiten des Zusammenschlusses privater Unternehmen des Schienengüterverkehrs Die Güterbahnen. Am Donnerstag nachmittag hatte Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) die Öffentlichkeit über den nahenden Abgang des DB-Vorstandsvorsitzenden informiert. Für Verwunderung sorgte dabei nicht der Schritt an sich, sondern der Umstand, dass offenbar noch kein Nachfolger für den 61jährigen gefunden ist.
Das nehme man »überrascht zur Kenntnis«, äußerte sich hernach Martin Burkert, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). »Mit Blick auf die dramatische Lage bei der Bahn und die anstehenden Sanierungsmaßnahmen verbietet sich ein Führungsvakuum.« Der Beschluss des Ministers sei daran zu messen, ob eine schnelle Lösung folge »oder ob sich die Situation bei der Bahn noch verschärft«. Es sei Zeit für eine Neuaufstellung – sowohl strukturell als auch personell, begründete Schnieder das Vorgehen, auf das er sich mit DB-Aufsichtsratschef Werner Gatzer verständigt haben soll. Warum das gerade jetzt passierte, nachdem schon im Koalitionsvertrag von Union und SPD ein Austausch des Spitzenpersonals avisiert wurde, bleibt rätselhaft. In sechs Wochen will Schnieder eine Bahnstrategie präsentieren. Zu diesem Anlass will er »idealerweise« auch Vollzug bei der Nachfolge von Lutz vermelden, der bis dahin geschäftsführend im Amt bleiben soll.
»Überlastung, Personalabbau und fehlende Wertschätzung sind die Realität, während Missmanagement und falsche Prioritäten das System Schiene ausbremsen«, erklärte GDL-Chef Mario Reiß in einer Medienmitteilung. »Diese Unzulänglichkeiten müssen jetzt ein Ende haben«, wobei es nicht ausreiche, den Boss zu ersetzen. Nötig wären insbesondere die Sanierung und Entflechtung der Finanzströme, die Modernisierung der Infrastruktur sowie eine grundlegende Reform der Unternehmensstruktur. Auf den Prüfstand müsse deshalb auch die Aufstellung als Aktiengesellschaft, so der Gewerkschafter. Ins selbe Horn stößt der Fahrgastverband Pro Bahn. Neben einer aktiveren Steuerung durch das Verkehrsministerium fordert dieser eine »offene und ehrliche Kommunikation«. Der Bund müsse als Eigentümer dafür sorgen, dass »Transparenz und Kundenorientierung« in den Vordergrund rückten, heißt es in einem Pressestatement.
Die Frage bleibt, ob das alles auch politisch gewünscht ist und nicht doch Bestrebungen, den integrierten Konzern zu zerschlagen und noch mehr Wettbewerb auf die Schiene zu bringen, den weiteren Kurs bestimmen werden. Die Neubesetzung des Chefsessels wird in dieser Hinsicht gewiss ein Richtungsentscheid. Der allgemeine Niedergang ist auch eine Folge der Praxis, immer wieder Externe ans Steuer zu setzen, statt Leute vom Fach zu nehmen. Immerhin Lutz bildete hier eine Ausnahme, er arbeitet seit 31 Jahren bei der DB, seit 2010 im Vorstand. Und mit DB-Regio-Chefin Evelyn Palla stünde wohl abermals eine Interne bereit, ihn zu beerben. Ihre Sparte ist die praktisch einzige, die noch schwarze Zahlen schreibt, und sie hat kürzlich sogar den Lokführerschein gemacht. Dass ihr die Bahn offenkundig am Herzen liegt, könnte ihr aber auch die Tour vermasseln. Am Donnerstag kursierte bereits der Name von Ex-Telekom-Chef René Obermann. Er ist aktuell Aufsichtsratschef bei Airbus, eigentlich ein natürlicher Konkurrent der Bahn.
Einem Bericht des Handelsblatts vom Freitag zufolge gestaltet sich die Suche nach einem Lutz-Nachfolger schwierig. Schon im Vorfeld hätten mehrere mögliche Kandidaten dem Aufsichtsrat eine Absage erteilt, will die Zeitung aus Bahnkreisen erfahren haben. Zu ihnen zählt dem Vernehmen nach der ehemalige Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr, Peter Füglistaler. Als intimer Kenner der eidgenössischen Bahngesellschaft SBB wäre der ziemlich sicher eine gute Wahl gewesen. Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für alle« hat eine erfrischende Idee: »Wir schlagen vor, dass die Beschäftigten die Nachfolge selbst bestimmen, und die Bahnkunden haben auch eine wichtige Meinung in dieser Frage«, sagte er junge Welt. »Eine gemeinnützige Bahn, demokratisch kontrolliert und gesteuert, könnte die jahrzehntelange Talfahrt endlich beenden.«
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