Bundesregierung spielt auf Zeit
Von Max Grigutsch
In Berlin will man sie nicht, in Islamabad aber auch nicht: Pakistanische Behörden haben bis Donnerstag rund 280 Afghanen zwecks Abschiebung in ihr Heimatland festgenommen, obwohl sie eine Aufnahmezusage aus Deutschland haben. Am Freitag wurden mehr als 100 weitere in ein Abschiebezentrum in der pakistanischen Hauptstadt gebracht. Kritik dafür ernten auch die Verantwortlichen in der BRD: Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hätten sich »des Straftatbestands der Aussetzung und der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht«, heißt es in einer Erklärung von Pro Asyl und dem Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte. Die Hilfsorganisationen reichten am Freitag Strafanzeige gegen die beiden Unionspolitiker ein.
Derzeit warten laut Angaben des Auswärtigen Amtes vom 20. Juni rund 2.400 Afghanen in Pakistan auf ihr Visum für die BRD, davon etwa 350 ehemalige sogenannte Ortskräfte deutscher Institutionen und ihre Angehörigen. »Darunter sind etwa 1.700 Frauen und Kinder«, teilte die Organisation »Kabul Luftbrücke« am Donnerstag mit. Nach der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 – nach 20 Jahren NATO-Besatzung – hatte die damalige Bundesregierung Aufnahmeprogramme für gefährdete Afghanen gestartet und entsprechende Zusagen gemacht. Allein bis zur individuellen Überprüfung durch deutsche Behörden vergingen aber oft Monate. Die amtierende Koalition legte die Einreisen bei Regierungswechsel im Mai dann komplett auf Eis.
35 der Festgenommenen wurden laut dpa-Informationen vom Donnerstag abend bereits nach Afghanistan gebracht. Den »abgeschobenen Afghanen und Afghaninnen drohen willkürliche Inhaftierung, Misshandlungen oder gar Hinrichtungen«, sagte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, am Freitag. Die Gefährdung sei »Resultat deutschen Regierungshandelns«. »Statt den Menschen endlich die durch die Aufnahmezusagen versprochenen Visa zu erteilen, haben die deutschen Verantwortlichen sie immer weiter hingehalten« – das müsse Konsequenzen haben. Der Anwalt Robert Brockhaus, Verfasser der Anzeige gegen Wadephul und Dobrindt, betonte ebenfalls am Freitag, schon vor über einem Monat darauf hingewiesen zu haben, dass sich deutsche Verantwortungsträger im Falle der Abschiebungen strafbar machen.
Die Begrenzung der Migration ist erklärtes Ziel der »schwarz-roten« Regierung. Außenminister Wadephul erklärte am Freitag in Berlin dennoch seine »große Sorge« ob der Situation der Betroffenen. Das Auswärtige Amt stehe mit der pakistanischen Regierung »hochrangig in Kontakt«, um den Schutz der Abgeschobenen und Verhafteten zu gewährleisten. Innenminister Dobrindt hatte am Donnerstag in Sachsen-Anhalt Ähnliches verlautbart und außerdem einen »sehr genauen Blick« auf die Situation vor Ort angekündigt.
Als »Skandal« bezeichnete Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, die gewaltsamen Festnahmen und Abschiebungen und attestierte der deutschen Regierungspolitik »Unmenschlichkeit« und »Versagen«. Sie forderte am Donnerstag, die Visa sofort auszustellen und die Abschiebungen zu stoppen. Trotz seines wachsamen Auges wollte Minister Dobrindt keine derartigen Zugeständnisse machen. Er bekräftigte, dass eine Ausreise nach Deutschland vom Ergebnis der Einzelfallprüfungen abhänge und dass »in den allermeisten Fällen« keine Erlaubnis vorliege. Sein Ministerium hatte am Mittwoch eine »zeitnahe« Entscheidung über die ausgesetzten Aufnahmen in Aussicht gestellt.
Etwas positive Presse wollte sich die Regierung am vierten Jahrestag der Machtergreifung durch die Taliban dann doch nicht entgehen lassen. Bis vor kurzem hatte sich das Auswärtige Amt noch vehement gegen die Klage einer in Pakistan wartenden afghanischen Familie aus einem Bundesaufnahmeprogramm gewehrt. Gegen die Gerichtsentscheidung, nach der der Familie die Einreise zu gestatten sei, hatte das Amt Beschwerde eingelegt. Diese nahm es nach ARD-Informationen am Freitag zurück, die Familie darf einreisen. Bei den verbliebenen rund 2.400 Geflüchteten spielt die Regierung nach wie vor auf Zeit.
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