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Aus: Ausgabe vom 16.08.2025, Seite 2 / Inland
Parlamentarismus

»Das wurde schon mit jetzigen Mitteln gemacht«

Hessen: Landtagspräsidentin will Gesinnungsprüfung für Mitarbeiter von Abgeordneten. Linke warnt vor Gummiparagraphen. Gespräch mit Jakob Migenda
Interview: Gitta Düperthal
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Außerhalb des Parlaments versuchen es AfD-Gegner mit Protestkundgebungen. (Neu Isenburg, 1.2.2025)

Die Landtagspräsidentin in Hessen, Astrid Wallmann von der CDU, will die Verfassungstreue von Mitarbeitern von Abgeordneten und Fraktionen künftig prüfen lassen. Ziel sei, »Extremisten« von der Finanzierung ausschließen zu können. Das solle sich vor allem gegen die AfD richten. Kennen Sie Abgeordnete, deren Mitarbeiter oder Anhänger in Hessen, die in Neonazikreisen verkehren?

Zum Beispiel Andreas Lichert, Kovorsitzender und stellvertretender Fraktionschef der AfD im hessischen Landtag. Er ist eng verbandelt mit dem rechtsextremen Thinktank »Institut für Staatspolitik« um den Verleger Götz Kubitschek, hat enge Verbindungen zur identitären Szene. Laut dem früheren Linke-Landtagsabgeordneten Hermann Schaus ist etwa Sascha Herr, der vergangenes Jahr über die AfD-Landesliste in den Landtag einzog, dafür bekannt, in Neonazikreisen vernetzt und bei Rechtsrockkonzerten zugegen zu sein. Er kommt aus der AfD Hochtaunus.

Wofür ist der Kreisverband bekannt?

Die AfD Hochtaunus hat schon 2019 für Schlagzeilen gesorgt, weil sie in sozialen Medien Journalistinnen und Journalisten drohte: »Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät!« Stephan Ernst, der im Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordete, hatte Wahlkampf für die AfD gemacht.

Welche Wege sind geeignet, um gegen die AfD vorzugehen?

Will man sich gegen die AfD wehren, muss man ganz klar rassistische, rechtsextreme Menschenfeindlichkeit thematisieren oder konkret ein Verbotsverfahren prüfen. Es kann nicht sein, dass man mit Gummiparagraphen versucht, die gesamte parlamentarische Opposition zu kontrollieren.

Wohin die absurde Gleichsetzung von links und rechts führt, ist bei Berufsverboten zu sehen: Lisa Poettinger durfte ihr Referendariat im Schuldienst in Bayern im Februar nicht antreten, weil ihr politischer Aktivismus zum Klimaschutz vorgeworfen worden war. Nach dem dortigen Kultusministerium ist der mit der Verfassung unvereinbar. Bei Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke kann man aber einfach nichts finden: Obgleich er nach gerichtlicher Entscheidung Faschist genannt werden darf, ist er noch immer beurlaubter Oberstudienrat in Hessen.

Anlassbezogen sollen Informationen beim Verfassungsschutz und Landeskriminalamt abgefragt werden können. Was bringen solche Anfragen?

Immer wieder hat sich gezeigt, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist und deshalb grundsätzlich immer erst Linke verfolgt. Er ist also gar nicht in der Lage, festzustellen, ob jemand aus dem rechten Lager demokratisch eingestellt ist oder nicht.

Von der CDU heißt es wiederholt, man müsse die AfD inhaltlich stellen und bessere Politik machen. Was sollten die im Landtag vertretenen Parteien aus Ihrer Sicht tun, um die AfD zurückzudrängen?

Nicht ständig mit ihrer Politik der AfD hinterherrennen, sie kopieren und ihre Positionen normalisieren. Das tun sie aber, was dazu führt, dass Menschen die AfD als ein normales Politikangebot wahrnehmen und dann das laute Original wählen. Statt ihr zu mehr Popularität zu verhelfen, müssten die anderen Parteien entschlossen extrem rechten Positionen entgegentreten.

Maßnahmen, wie Wallmann sie angekündigt hat, richten sich gegen die AfD. Da von »Extremisten« die Rede ist, könnte es auch Linke treffen. Rechnen Sie damit?

Davon ist auszugehen, und zwar ganz praktisch. In der Vergangenheit wurde bereits einem Mitarbeiter der Linke-Fraktion für den Untersuchungsausschuss im Fall der neun rassistischen Morde in Hanau am 19. Februar 2020 die Akteneinsicht verweigert, angeblich aus Sicherheitsgründen. Ihm wurde keine strafbare Handlung vorgeworfen, sondern: Er habe in der Vergangenheit Demonstrationen angemeldet.

Man hat quasi ein Bollwerk errichtet, um die demokratischen Rechte der Opposition einzuschränken. Das wurde schon mit jetzigen Mitteln gemacht. In Zukunft könnte dann verhindert werden, dass Mitarbeiter der Linke-Fraktion überhaupt eingestellt werden können. Das wäre skandalös.

Jakob Migenda ist Landesvorsitzender der Partei Die Linke in Hessen

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