Auf Konfrontationskurs
Von Roland Zschächner
In Serbien braut sich eine Protestwelle zusammen. In der Nacht zu Donnerstag sind im ganzen Land Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Polizisten sowie Anhängern der regierenden Fortschrittspartei (SNS) von Präsident Aleksandar Vučić. Mehrere Verletzte wurden vermeldet. Vučić selbst trat im Zentrum der Hauptstadt Belgrad bei einer SNS-Kundgebung auf. In Richtung seiner Gegner sagte er: »Wir werden euch Serbien nicht geben, denn für uns ist es alles.«
In der Protestbewegung ist man indes der Überzeugung, dass es Serbien gerade wegen Vučić schlecht geht. Als Beweis dafür dienen unter anderem die Angriffe von SNS-Anhängern am Dienstag in den nordserbischen Städten Vrbas und Bačka Palanka. Dort wollten lokale Ableger der vor allem von Studierenden getragenen Bewegung vor die SNS-Büros ziehen, wo sie jedoch von SNS-Schlägertrupps mit Feuerwerk, Steinen und anderen Wurfgeschossen empfangen wurden; die Polizei schritt entweder gar nicht oder nur zögerlich ein. Die Verantwortung für die Verletzungen schob Polizeidirektor Dragan Vasiljević anschließend den Demonstranten in die Schuhe und lieferte damit Anlass für die jüngsten Proteste. Videoaufnahmen zeigten ein gänzlich anderes Bild.
Auslöser der seit nunmehr neun Monaten andauernden Bewegung war der Einsturz des Bahnhofsvordachs in Novi Sad am 1. November vergangenen Jahres. 16 Menschen verloren dadurch ihr Leben. Weil das Gebäude zuvor renoviert worden war, steht der Vorwurf korruptionsbedingten Pfuschs im Raum. Verstärkt wird er durch die schleppende Aufklärung. Jüngst gab es ein wenig Bewegung in der Sache. Am 1. August wurden sechs hochrangige Offizielle festgenommen, darunter der ehemalige Bauminister Tomislav Momirović.
Doch der Protestbewegung geht es nicht um Exminister oder SNS-Hinterbänkler. Standen anfangs Aufklärung sowie Beseitigung eines Systems aus Vetternwirtschaft und Korruption im Mittelpunkt, wollen viele Protestierende den mutmaßlichen Kopf, denjenigen, der als Symbol für die Misere steht: Präsident Vučić soll zu Fall gebracht werden. Um ihn loszuwerden, fordern die Protestierenden Neuwahlen – so schnell wie möglich.
Doch fehlt den Demonstranten dafür der entsprechende Hebel. War die SNS zu Beginn der Bewegung noch von der Macht der Straße und der Unterstützung aus der Bevölkerung überrumpelt, kommt die Partei inzwischen wieder in die Offensive. So hatten die Studierenden bewusst auf Gewaltlosigkeit gesetzt und darauf gehofft, dass sich Brüssel, Washington oder wenigstens Berlin ihrer annehmen würden. Vučić und die Seinen konnten die Proteste aussitzen. Sie wussten die Europäische Union und die USA an ihrer Seite. Für sie ist Vučić verlässlich, ein Garant fürs Geschäft, etwa wenn es um den geplanten Lithiumabbau in Westserbien geht.
Zugleich gelang es den Studierenden nicht, andere gesellschaftliche Gruppen zu mobilisieren. So blieb es bei Straßenblockaden und besetzten Fakultäten. Fabriken kamen nicht hinzu. Ein Grund dafür ist auch, dass die Bewegung trotz wiederholter Beteuerungen, nichts mit der liberalen Opposition zu tun zu haben, mit ihr identifiziert wird. Das liegt auch an inhaltlichen Schnittmengen wie der Anlehnung von Vučić bei gleichzeitiger Befürwortung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und enger Anbindung an die EU und den Westen; letzteres wird wohlgemerkt auch von der SNS vertreten.
Mit der zunehmenden Konfrontation kommt Vučić wieder zurück in die Rolle des über alles erhabenen, lenkenden Landesvaters. So ließ er die Öffentlichkeit am Mittwoch beim Besuch des österreichischen Kanzlers Christian Stocker wissen, dass es vorgezogene Wahlen geben werde, ohne indes einen Termin zu nennen. Er werde auch nicht erneut als Präsident kandidieren, so Vučić – was ihm im übrigen auch verboten wäre. Er erklärte zudem, er habe »keine Absicht«, die Verfassung dahingehend zu ändern. Anders gesagt: Wenn Vučić es wollte, könnte er das schon.
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