Den Diskurs verschoben
Von Kristian Stemmler
Von einem »Machwerk« sprach die AfD, gerierte sich wieder einmal als verfolgte Unschuld. Das Brandenburger Innenministerium hat am Donnerstag auf seiner Homepage das Gutachten des Verfassungsschutzes veröffentlicht, das der Einstufung des AfD-Landesverbandes als »gesichert extremistische Bestrebung« zugrunde lag – fünf Monate nach seiner Fertigstellung. Innenminister René Wilke (parteilos) erklärte auf einer Pressekonferenz in Potsdam, im Handeln des Landesverbandes werde »zunehmend deutlich, dass sie auf einem Kurs ist, den demokratischen Staat und seine Institutionen zerstören zu wollen«.
Bereits Mitte April wurde der 142 Seiten starke »Vermerk« vom Inlandsgeheimdienst vorgelegt und die Brandenburger AfD vom »Verdachtsfall« zur »gesichert extremistischen Bestrebung« hochgestuft. Das Gutachten konnte aber erst veröffentlicht werden, nachdem die Partei Ende Juli ihren Eilantrag gegen die Einstufung vor dem Verwaltungsgericht Potsdam zurückgezogen hatte.
In dem Papier heißt es, dass der AfD-Landesverband seit der Einstufung als »rechtsextremistischer Verdachtsfall« 2020 einen »Prozess der sukzessiven, systematisch betriebenen Radikalisierung durchlaufen hat«. Der Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, Wilfried Peters, erklärte auf der Pressekonferenz, die AfD Brandenburg sei bestrebt, »elementare Verfassungsgrundsätze zu beseitigen«. Sie sei »in hohem Maße fremdenfeindlich und zum Teil rassistisch«. Die Partei vertrete einen »ethnokulturellen Volksbegriff, der Menschen ausschließt und diskriminiert«. Indem der Landesverband »einer größeren Personengruppe« die Menschenwürde abspreche, verstoße er gegen das Grundgesetz.
Auch Wilke verwies auf die Radikalisierung des AfD-Landesverbandes. Die Partei habe »die Sphäre des Sagbaren verschoben«, was in der Öffentlichkeit zu einem »Abstumpfungs- und Gewöhnungsprozess« geführt habe. Was vor einigen Jahren noch als »unsagbar« galt, werde jetzt ohne großen Protest hingenommen. Der Minister verglich die AfD-Anhänger mit Fußballfans, die »ihrem Verein« unkritisch bejubeln – »egal, ob die Mannschaft schlecht gespielt oder gefoult hat«. Die AfD habe einen »kulturellen Gemeinschaftsraum mit eigenen Informationsblasen« geschaffen.
Am Montag hatte das AfD-nahe Portal Nius bereits ein Papier veröffentlicht, das als das Verfassungsschutz-Gutachten bezeichnet wurde. Wilke betonte am Donnerstag, es handle sich dabei um eine Version des Vermerks, die im Laufe des Gerichtsverfahrens erstellt worden sei. Daher liege auf der Hand, dass es von der AfD an Nius weitergegeben worden sei. Der Partei sei es dabei offenbar darum gegangen, der Veröffentlichung des Gutachtens durch das Ministerium zuvorzukommen und »Deutungshoheit zu gewinnen«.
Die Hochstufung der Brandenburger AfD hatte im Mai zu personellen Konsequenzen geführt. Brandenburgs damalige Innenministerin Katrin Lange (SPD) entließ Verfassungsschutzchef Jörg Müller, weil sie nach eigenen Aussagen von der Entscheidung erst Wochen später unterrichtet wurde. An der Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung gab es dann jedoch Zweifel. Tatsächlich war Lange offenbar vorher informiert worden, hatte aber die Hochstufung der Landes-AfD bremsen wollen. Sie trat von ihrem Amt zurück, Wilke, der kurz zuvor aus der Partei Die Linke ausgetreten war, wurde ihr Nachfolger.
Neben Brandenburg gelten auch die AfD-Landesverbände in Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als »gesichert rechtsextrem«. Für die Einstufung der AfD-Gesamtpartei gibt es aktuell eine Stillhaltezusage des Bundesamtes für Verfassungsschutz, solange eine Prüfung beim zuständigen Verwaltungsgericht in Köln läuft.
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