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Aus: Ausgabe vom 15.08.2025, Seite 2 / Inland
Antimilitaristischer Protest

»Für EU-Staaten hat Frieden keine Priorität«

Bündnis mobilisiert zu Großdemonstration gegen Krieg, Hochrüstung und Waffenlieferungen. Ein Gespräch mit Joachim Guilliard
Interview: Gitta Düperthal
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Auf den Straßen gegen Krieg (Berlin, 3.10.2024)

Der Vorbereitungskreis »Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für Frieden!« ruft zu Demonstrationen gegen Kriege und Hochrüstung am 3. Oktober in Berlin und Stuttgart auf. Sie mobilisieren schon frühzeitig. Was den Krieg in der Ukraine betrifft: Aktuell dreht sich die öffentliche Debatte um das Trump-Putin-Treffen in Alaska am Freitag. In Europa ist man empört und fühlt sich übergangen. Wie bewerten Sie das?

Seit US-Präsident Donald Trump sich ernsthaft um einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg bemüht, sind die europäischen NATO-Länder regelrecht alarmiert. Sie wollen den Krieg weiterführen, um Russland zu schwächen. Daran hat sich nichts geändert, obgleich die Ukraine kaum noch durchhalten kann und ungeachtet der vielen Opfer, die der Krieg bereits gefordert hat. Freilich erklären auch die Regierungen der EU-Staaten pflichtschuldig, sie seien für Frieden. Da es aber aus ihrer Sicht keine Kompromisse geben darf, weder territorial noch was den Ausschluss einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO angeht, wird deutlich: Priorität hat Frieden für sie nicht.

Unionspolitikerinnen und -politiker, teils auch Grüne oder Sozialdemokraten, betonen ständig, mit dem russischen Präsidenten sei nicht zu reden. Warum stellt sich das aus Ihrer Sicht anders dar?

Seit Beginn des Krieges wiederholen sie das wie ein Mantra. Gleich nach Kriegsbeginn im März 2022 wurde in Istanbul verhandelt. Die Chancen auf einen erfolgreichen Waffenstillstand waren groß. Hauptanliegen Russlands war schon damals ein Nichtbeitritt der Ukraine zur NATO. Damals haben westliche Staaten für den Abbruch der Verhandlungen gesorgt. Seither ist Russland militärisch auf dem Vormarsch, beherrscht nun nahezu den gesamten Donbass. Man wird nicht daran vorbeikommen, die Gegebenheiten am Boden jetzt zu akzeptieren.

International unter Druck geraten wegen Israels Krieg in Gaza beschloss Kanzler Friedrich Merz, Waffenlieferungen dorthin einzuschränken. Innerhalb der Union wird dagegen opponiert, etwa von Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und der Jungen Union. Es geht um den Begriff der »Staatsräson«. Wie schätzen Sie das ein?

Waffenlieferungen nach Israel einzustellen ist längst überfällig und völkerrechtlich geboten. Die Verkündung des Stopps ist politisch sicherlich bedeutsam. Ob er sich praktisch auswirkt, muss sich erst erweisen. Bereits genehmigte Rüstungsgüter werden ja noch geliefert. Es ist skandalös, wenn Politiker und Medien weiter auf eine uneingeschränkte Unterstützung Israels pochen. Aus dem historischen Verbrechen des Holocaust resultiert eine besondere deutsche Verantwortung für Jüdinnen und Juden, aber Beihilfe zum Völkermord pervertiert diese geradezu. Zudem steht Deutschland auch in der Verantwortung gegenüber Palästinenserinnen und Palästinensern. Die Staatsgründung Israels 1948, durch die absolut unfaire Teilung Palästinas, wäre ohne den Holocaust nicht denkbar gewesen. Durch die damit verbundene Vertreibung fast der Hälfte der damaligen palästinensischen Bevölkerung wurde diese ebenfalls Opfer des deutschen Faschismus.

Worauf zielen die Demonstrationen am 3. Oktober?

Wir demonstrieren für ein Ende der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und gegen die Hochrüstung, die mit avisierten fünf Prozent des Bruttosozialprodukts ein irrwitziges Ausmaß angenommen hat. Zumal all das auf Kosten von Sozialem, von Umwelt, Bildung und Gesundheitsversorgung geht. Wir fordern, Waffenlieferungen in Krisengebiete zu beenden. Und unser Protest gilt der Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland.

Die junge antimilitaristische Bewegung »Rheinmetall entwaffnen« und die traditionelle Friedensbewegung ziehen nicht an einem Strang – weshalb?

Gerade haben wir viel Kontakt mit jungen Friedensgruppen, auch wegen der von der Union aktuell politisch befeuerten Debatte zur Einführung der Wehrpflicht, die wir ablehnen. Sie werden auf den Demos zu Wort kommen. Selbstverständlich wollen wir unsere bestehenden Netzwerke verbreitern.

Joachim Guilliard ist aktiv in der Friedensvernetzung Südwest, die die Demo am 3. Oktober in Stuttgart organisiert

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