Gegründet 1947 Freitag, 15. August 2025, Nr. 188
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 14.08.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der Verschollene

Schaumschläger im Hotel Occidental: Tallulah Hazekamp Schwabs Kafka-Pastiche »Willkommen um zu bleiben«
Von Ronald Kohl
11.jpg
Kann man es wagen, mit dem Kaffeetrinken aufzuhören?

Du kannst jederzeit aus-checken«, heißt es in dem Song »Hotel California« von den Eagles, »doch du kannst niemals abreisen.«

In der düsteren, schlossähnlichen Herberge in »Willkommen um zu bleiben« (Originaltitel »Mr. K.«), zwischen deren glitschigen Mauern sich abgesehen vom Prolog die gesamte Handlung des Films abspielt, erweist sich schon ein Telefonat mit der Rezeption als unerreichbares Ziel. Und selbst für den eigentlich nur für eine Nacht abgestiegenen reisenden Magier Herrn K. (Crispin Glover) entwickelt sich die Suche nach dem Ausgang zum Alptraum. Das ist kaum verwunderlich angesichts der Tatsache, dass seine schwarze Kunst bisher noch niemanden wirklich zu verzaubern vermochte.

Hager und in einen abgewetzten Mantel gehüllt, schleppte er sich bislang mit seinen beiden Koffern von einem Auftritt zum nächsten: Tingeltangel am untersten Ende der Skala. Beinahe unvorstellbar, dass es noch schlimmer und dann immer noch schlimmer kommen kann. Doch genau das lehrt der scheinbar endlose Hotelaufenthalt den erfolglosen Künstler.

Selbst schuld! Denn anstatt sich mit seiner mehr als offensichtlich kafka-esken Rolle zu arrangieren, lehnt sich Herr K. als Rufer in der Servicewüste immer weiter aus dem Fenster und weckt damit gefährliche Triebe.

Regisseurin und Drehbuchautorin Tallulah Hazekamp Schwab wurde in mehreren Interviews danach gefragt, weshalb sie sich für diesen ausgesprochen surrealistischen Plot entschieden hat. »Ich liebe die Charaktere in Kafkas Büchern. Das sind Menschen, bei denen du nicht weißt, woher sie kommen oder was sie denken. Sie geraten in eine Situation, die sie nicht verstehen.«

Was Herr K. vor allem nicht begreifen kann, sind die Gründe dafür, dass er sich innerhalb des Hotelbetriebs mehrmals plötzlich auf exponierten Posten wiederfindet, obwohl er regelmäßig allen versichert, nur auf der Durchreise zu sein.

Bei seinem Job in der Küche wird er schon am ersten Tag vom gewöhnlichen Eiaufschläger zum Schaumschläger befördert. Ein Aufstieg, der gleich mehrere Stufen überspringt und bei einer gewöhnlichen Küchenkraft viele Jahre gedauert hätte.

Trotz der Blitzkarriere intensiviert K. seine Suche nach dem Ausgang. In einem »Nachbau« von Kafkas Schloss kann diese Intensivierung nur gleichbedeutend sein mit einer Bürokratisierung. K. legt Pläne an und markiert sämtliche Treppen und Flure mit einem Fettstift. Das Problem bei diesen aus Buchstaben und römischen Zahlen bestehenden Zeichen und Wegweisern besteht nicht etwa darin, dass sie weit davon entfernt sind, sich planvoll zu ergänzen, sondern dass sie all den anderen skurrilen Bewohnern des Hotels den Eindruck vermitteln, K., der jetzt der Befreier genannt wird, würde kurz davor stehen, alles zu entschlüsseln. Doch als K. dann seine Erkenntnisse laut herausschreit, wird er augenblicklich zu einem vom Mob gejagten Hassobjekt.

»Wissen alle mehr als ich?« benennt die Regisseurin eine der wichtigsten Fragen ihres Lebens und ihres Werkes. Und: »Wie funktioniert das System?«

Es gibt in dem Hotel neben den offensichtlichen Hierarchien, die den Laden auf der untersten Ebene am Laufen halten, eine übergeordnete Kraft, deren Ableger erkennbar werden, sobald man einen Blick auf das zu werfen wagt, was sich unter der speckigen Brokattapete verbirgt.

Es sind unappetitliche Dinge, die zutage treten. Mit dem Entfernen des Wandschmucks verschwinden aber auch die irreführenden Wegweiser, die K. dort hingekritzelt hat. Eine verzwickte Situation mit Potential.

Die Schwäche von »Willkommen um zu bleiben« besteht in seinen müden Auflösungen. Als beispielsweise K. zu seiner Überraschung an der Spitze einer völlig schrägen Freiheitsbewegung steht und nicht weiß, wie er aus dieser Nummer wieder herauskommen soll, erwartet jeder Zuschauer automatisch (zumal in einem kafkaesken Film) eine Abfolge absurder argumentativer Purzelbäume. Statt dessen kommt bei seiner Gefolgschaft nur die hochgradig unoriginelle Erkenntnis auf: »Wir brauchten keinen Ausgang, bis Sie kamen.«

Ähnlich verhält es sich mit dem Schluss. Die Regisseurin scheint sich nicht sicher zu sein, ob ihre Story in der totalen Katastrophe enden soll oder mit Happy-End. Sie entscheidet sich für irgendwelche vermutlich allegorischen Bilder unter Wasser. Kafka hätte bekanntlich einfach abgebrochen.

»Willkommen um zu bleiben«, Regie: Tallulah Hazekamp Schwab, Norwegen/Niederlande/Belgien 2024, 94 Minuten, Kinostart: heute

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro