Nullrunde für Ärzte
Von Oliver Rast
Eine »Ausgabenwende« in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Das fordert Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). Mittels eines Sofortprogramms, mittels eines »Zehn-Punkte-Plans«, berichtete das Ärzteblatt am Dienstag online. Der Dreiklang: »Wettbewerb, Mitteleffizienz und Beitragsstabilität«. Damit will Deutschlands größter Krankenversicherer ein »leistungsfähiges und bezahlbares Gesundheitssystem« sichern, teilte die TK bereits am Montag mit. Denn die Finanzlage der GKV sei dramatisch schlecht, Prognosen für 2026 gehen von einem Acht-Milliarden-Defizit aus. Und genau diese Eurosumme wolle die TK mit ihrem Vorschlag »einsparen«.
Ärzteverbände protestieren, halten von den sofortigen »Entlastungsmaßnahmen« wenig, von dreien nichts. TK-Chef Baas fordert etwa, »die jährliche Erhöhung der vertragsärztlichen Honorare einmalig« auszusetzen. Zudem erwartet die Kasse »Anpassungen« bei der Entbudgetierung der Kinder- und Jugendmedizin sowie bei Zuschlägen für durch Servicestellen oder Hausarztpraxen vermittelte Termine. Würden alle Punkte aus dem Sofortprogramm umgesetzt, sei es möglich, »kurzfristig mehr als acht Milliarden Euro einzusparen und so Beitragsanstiege im nächsten Jahr zu verhindern – ohne Leistungen zu kürzen«, meint Baas. Aber selbst das schaffe nur ein bisschen Luft. Um das grundsätzliche Finanzierungsproblem der GKV zu lösen, brauche es »echte Reformen«.
Was sagt der AOK-Bundesverband (AOK-BV)? Ähnliches. Spielraum für höhere Honorare der rund 190.000 niedergelassenen Ärzte hierzulande gebe es kaum, hieß es aus dessen Kommunikationsabteilung am Mittwoch gegenüber jW. Dafür sehe der AOK-BV anderswo »Effizienzressourcen«. Im Volumen von rund 14 Milliarden Euro. Allein eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent bedeute eine Ausgabenreduktion von sieben Milliarden Euro. Und die Anhebung des Herstellerrabatts aus der Pharmabranche für Krankenkassen von sieben auf 16 Prozent mache 1,8 Milliarden Euro aus.
Zum Knackpunkt, Nullrunde bei Ärztehonoraren. Der Extraaufreger für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (Spifa). Auch der Zeitpunkt des TK-Vorstoßes passt den Vertretern aus der Ärzteschaft nicht. Denn in der kommenden Woche wird mit dem GKV-Spitzenverband über ärztliche Leistungsvergütungen verhandelt. Aufgrund gestiegener Personalkosten seien »Vergütungsanpassungen für die Praxen zwingend notwendig«, erklärte die KBV-Spitze am Dienstag. Höhere Löhne, die den Krankenkassen Mehreinnahmen bescherten, beträfen auch die Praxen. Nur müssten Ärzte das Einkommensplus selbst erwirtschaften. Deutlicher noch wurde der Spifa-Vorstandsvorsitzende Dirk Heinrich: Während Milliarden Euro ohne wirkliche Verbesserung in das Gesundheitssystem gekippt würden, wolle die Kassenlobby die fachärztliche ambulante Versorgung auf Sparflamme halten. Dabei arbeiteten Ärzte in der niedergelassenen Ambulanz bereits am Limit, »die Auswirkungen sind für gesetzlich Krankenversicherte deutlich spürbar«, so Heinrich weiter.
Und der Virchowbund – der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands – beharrte am Mittwoch auf jW-Nachfrage auf eine Mittelerhöhung um sieben Prozent. Hierbei gehe es nicht – wie oft suggeriert – um »steigende Arztlöhne«, sondern um Gelder zum Erhalt der ambulanten Infrastruktur insgesamt. Eine Nullrunde würde diese »bei steigenden Kosten kaputtsparen«. Eine Struktur, die das Gros medizinischer Behandlungsfälle garantiere – und zwar kosteneffizient. Beleg: Im Jahr 2024 wurden für 578 Millionen Fälle in der ambulanten Versorgung gesetzlich Versicherter rund 50 Milliarden Euro ausgegeben, im Schnitt zirka 87 Euro pro Patientenfall.
Was meinen Gesundheitspolitiker? Eine pauschale Aussetzung der jährlichen Honoraranpassung für Vertragsärzte sei der falsche Weg, sende ein falsches Signal, sagte die Fachsprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Simone Borchardt, am Mittwoch jW. Weil: »Die ambulante Versorgung ist ein tragender Pfeiler unseres Gesundheitssystems – gerade in ländlichen Regionen, wo es ohnehin zunehmend schwieriger wird, ärztlichen Nachwuchs zu gewinnen.«
Nun ist der GKV-Spitzenverband gefragt. Bei den Ärztehonoraren allemal. Dazu äußert sich dessen Sprecherin Claudia Widmaier gegenüber jW aber nicht. Statt dessen bekräftigte sie ein Ausgabenmoratorium – übersetzt: Die Krankenkassen sollen nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen. Kurzfristig sollte zudem die gesundheitliche Versorgung der Bürgergeldbezieher komplett aus dem Steueraufkommen finanziert werden. »Hier geht es um zehn Milliarden Euro, mit denen die Krankenkassen jährlich den Bundeshaushalt subventionieren.« Das klingt nach einer weiteren »Ausgabenwende«.
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