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Aus: Ausgabe vom 13.08.2025, Seite 10 / Feuilleton
Comic

Eine Party für den Denker

Jens Balzers und Martin tom Diecks philosophische Comics »Holy Deleuze!« und »Salut, Deleuze!«
Von Andreas Schäfler
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Denken im Dunkeln: Gilles Deleuze in der Unterwelt

Da ist er wieder, Gilles ­Deleuze, als erfreulich untoter Hausgeist von Comiczeichner Martin tom Dieck und Szenarist Jens Balzer. Ihre Vorgängerbände »Salut, Deleuze!« (2000) und »Neue Abenteuer des unglaublichen Orpheus« (2001) waren ein Fest für Comicfans wie Philosophieinteressierte. Als höchst eigenwillige Deleuze-Sekundärliteratur hatte sie nicht nur Hand und Fuß, sondern auch Esprit, und graphisch waren die Abenteuer, die der 1995 verstorbene Starphilosoph nun eben in der Unterwelt zu bestehen hatte, bestechend umgesetzt. Ein Projekt wie »Salut, Deleuze!« kam vor einem Vierteljahrhundert, zumal für deutsche Verhältnisse, geradezu sensationell daher und zeigte, von heute aus betrachtet, prompt märchenhafte Wirkung: Den zweiten Band würdigte die FAZ damals auf ihren Berliner Seiten nicht nur mit einem Vorabdruck, sondern flankierte ihn mit seminaratmosphärischen Feuilletons von Joseph Vogl, Martin Stingelin, Josef Früchtl und weiteren freundlichen Kapazitäten, um so eine Forderung von Deleuze (und Guattari) einzulösen: »Die Philosophie bedarf einer Nicht-Philosophie (…) so, wie die Kunst der Nicht-Kunst bedarf.« Was Printmedien einst vermochten!

In »Holy Deleuze!« nehmen es Zeichner und Szenarist nun nach langer Pause wieder mit den poststrukturalistischen Zumutungen auf, die im Schattenreich der Unterwelt ungehindert fortbestehen, also mit »Differenz und Wiederholung«, mit den Mannigfaltigkeiten und auf der Metaebene auch mit der einst so modischen Potenz der »Mille Plateaux«. Um Deleuze selbst ist es, wie die Autoren auf ihrem Kontrollgang durch den Hades feststellen müssen, inmitten der Pilz- und Fledermausvielheiten recht einsam geworden. Und das kurz vor seinem 100. Geburtstag! Doch das Freundeskomitee aus Michel »Es muss eine Party gemacht werden« Foucault, Jacques Lacan und Roland Barthes brütet schon über einem passenden Geschenk. Dass dabei räsoniert werden muss, was das Zeug hält, versteht sich von selbst.

Tom Dieck und Balzer betreiben hier durchaus wieder Wissensvermittlung, aber sie vermeiden erneut jede Schlaubergerei. Mit den genretypischen Möglichkeiten des schnellen Um-die-Ecke-Schauens lässt sich nun mal viel besser auf der Aktualität von Deleuzes Denken insistieren. Und auf der Dringlichkeit von Denken überhaupt. Bei aller Freude am intellektuellen Spiel folgen die Autoren aber doch konsequent einem schlüssigen Plot. Guest starring im Personaltableau ist diesmal u. a. René »dies ist keine Pfeife« Magritte, der zwar vernehmlich seine Comicvorbehalte äußern darf, dann aber ganz allein am Tresen von Eurydikes Denkerbar sitzenbleiben muss, als Foucault, Lacan und Barthes in den dunklen Tann aufbrechen, wo sie einen anderen prominenten Pilzsucher auf frischer Tat zu ertappen hoffen: Sigmund Freud, mit dessen Hilfe dann tatsächlich ein Eins-a-Pilzkuchen für Deleuze gebacken und dem Jubilar formvollendet überreicht werden kann. O-Ton Lacan (wie der Anmerkungsapparat verrät): »Zu lieben ist, zu geben, was du nicht hast, an jemanden, der es nicht will.« Kann man sich mal merken. Und Deleuze? Denkt sich sein Teil, ist aber doch auch gerührt und kocht erst mal Morchelkaffee für alle. Die Freundschaft zu pflegen, auch wenn man sich beim Philosophieren gern mal in die Wolle kriegt, ist eben doch das Schönste.

Apropos dunkler Tann: »Holy Deleuze!« ist naturgemäß wieder eine großangelegte Schwarzweißfeier. Die Geflechte und Myzelen gedeihen prächtig in diesen unterweltlichen Panels, das Rhizomatische greift selbst in der Finsternis tiefenscharf um sich. Und wie war das noch mal mit dem Denken? In Martin tom Diecks und Jens Balzers neuem Buch kommt es uns als verlockendes Angebot auf halbem Weg entgegen.

Jens Balzer/Martin tom Dieck: Holy Deleuze! Reprodukt-Verlag, Berlin 2025, 64 Seiten, 20 Euro

Dieselb.: Salut, Deleuze! (alle drei Bände). Reprodukt-Verlag, Berlin 2025, 176 Seiten, 29 Euro

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