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Aus: Ausgabe vom 13.08.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Wirtschaftspolitik

Hackeln in der Konjunkturflaute

Österreich: WIFO-Forschungsinstitut konstatiert der Alpenrepublik eine Wirtschaftskrise. Industrielle fordern nun ein höheres Pensionsalter – die Arbeiterkammer widerspricht
Von Oliver Rast
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Geht es nach Kapitalbossen, sollen Pensionistinnen ihren Altersruhesitz verlassen – und die Wirtschaft ankurbeln

Die Anzeige auf dem Konjunkturbarometer in Österreich bleibt unverändert. Die Industrie ist weiter in der Talsohle, die Erwerbslosigkeit steigt, die Inflation liegt über dem EU-Schnitt – wegen hoher Energie- und Lebensmittelpreise. Kurz: keine Spur eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Das ist das Ergebnis des am Montag vorgestellten Konjunkturberichts des WIFO, des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung. »Die derzeitige Rezession in der Herstellung von Waren ist die zweitlängste Krise seit über 20 Jahren«, wurde WIFO-Ökonom Marcus Scheiblecker gleichentags in einer Mitteilung zitiert.

Wie aus der Krise kommen? Etwa mit höherem Pensionseintrittsalter? Der Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer und der Chef der Industriellenvereinigung, Georg Knill, fordern hackeln bis zum 70. Lebensjahr. Mit den üblichen Argumenten: demographischer Wandel, Stabilisierung der Pensionskassen.

Dabei ist das durchschnittliche Pensionsantrittsalter längst gestiegen, hatte die Arbeiterkammer Wien (AK Wien) bereits wiederholt bemerkt – bei Männern von 58,5 auf 62,4 Jahre, bei Frauen von 56,8 auf 60,4 Jahre. Also, Erwerbstätige gingen ohnehin später in Pension. Eine weitere Anhebung trifft vor allem jene, die körperlich hart arbeiten, gesundheitlich angeschlagen sind oder in prekären Jobs stecken.

Sowieso entscheidet sich die Finanzierung des Pensionssystems vor allem am Arbeitsmarkt – allein schon durch die Löhne. Und laut AK-Analyse beschäftigen rund 30 Prozent der mittleren und großen Betriebe keinen einzigen Erwerbsfähigen, der älter als 60 Jahre ist, erklärte am Montag Ines Stilling, AK-Bereichsleiterin Soziales. Hinzu komme ein frauenspezifischer Aspekt. Denn mehr als die Hälfte der Betriebe stelle keine Frau ein, die ihr 60. Lebensjahr erreicht habe. Wer länger arbeiten soll, braucht auch die Jobs dafür – und die gibt es nicht. Vor allem schrumpft die Beschäftigung in der Privatwirtschaft, offene Stellen werden immer rarer. Ausnahmen gibt es nur im öffentlichen Dienst.

Und: Was bedeuten die pensionspolitischen Planspiele von Mahrer, Knill und Co. für Menschen, die in ihrem Erwerbsleben hart gearbeitet haben? Für jene, die mit 60 schon gesundheitlich beeinträchtigt sind? Für die, die keine Chance auf altersgerechte Beschäftigungsverhältnisse haben? Für jene drohten längere Phasen der Erwerbslosigkeit oder Krankheitszeiten. Das sei keine Reform, so die AK Wien, »das ist eine faktische Pensionskürzung.«

Die AK Wien verwies dabei ferner auf ein sogenanntes Langfristgutachten: Das Pensionssystem ist stabil – wenn die Beschäftigungsquote steigt und »gesunde Arbeitsplätze« geschaffen werden. Stilling: »Notwendig ist ein Bonus-Malus-System und dass Menschen überhaupt gesund bis zur Pension durchhalten. Alles andere sind Scheindebatten!«

Der arbeitsmarktpolitische Vorschlag der AK Wien zielt darauf ab, die (freiwillige) Beschäftigung älterer Erwerbsfähiger zu fördern – durch gezielte Anreize bzw. Sanktionen für Unternehmen. Die Firmen, die überdurchschnittlich viele Ältere beschäftigen, sollten steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Vorteile erhalten. Die, die das nicht tun, hätten höhere Sozialbeiträge zu zahlen. Eine Maßnahme, um aus der »besorgniserregenden Konjunkturlage« herauszufinden, findet jedenfalls die AK Wien.

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