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Aus: Ausgabe vom 13.08.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Deutsch-israelische Beziehungen

Blutiger Hohn

Israel als gelobtes Land deutscher (Wieder-)Kriegstüchtigmachung
Von Susann Witt-Stahl
3_©Bundeswehr:Christian Timmig.jpg
Davidstern und Eisernes Kreuz: Deutscher »Eurofighter« mit Sonderfolierung auf dem Weg nach Israel (24.4.2023)

Deutsche Militaristen haben kein Verständnis für die von Kanzler Friedrich Merz angeordnete Einschränkung der Rüstungslieferungen an Israel. Sicherheitsexperte Nico Lange fürchtet Schaden für »deutsche Interessen«, weil die BRD militärisch abhängig von Israel sei. Nicht zuletzt in diesem Wissen dürften ranghohe Bundeswehr-Offiziere die »Swords of Iron«-Mission der Israel Defense Forces (IDF) von Beginn an öffentlich unterstützt haben. »Ich sehe, dass die israelische Luftwaffe hier sehr, sehr genau vorzugehen versucht, so präzise, wie sie eben nur kann«, erklärte der damalige Inspekteur der deutschen Luftstreitkräfte, Generalleutnant Ingo Gerhartz, im November 2023 – zu einem Zeitpunkt, als die IDF bereits Teile Gazas zerstört und rund 10.000 Menschen getötet hatten.

Gerhartz, seit Juni Befehlshaber des Allied Joint Force Command in Brunssum, hatte 2021 »Flügel an Flügel« mit einer F-15, in der der damalige Kommandeur der Israeli Air Force (IAF), Amikam Norkin, saß, die Knesset mit dem »Eagle Star« überflogen: Das Sondermodell des »Eurofighters«, überzogen mit einer bunten Folie in den israelischen und deutschen Nationalfarben, bedruckt mit dem Davidstern, dem IAF-Emblem, dem Bundesadler und dem Eisernen Kreuz, hat Fetischstatus bei der Luftwaffe. »Als Deutscher mit einem Kampfjet über Israel, wer hätte das einmal gedacht«, verkündete Gerhartz euphorisch. Schließlich war es der erste Einsatz einer deutschen Militärmaschine über Jerusalem seit dem Ersten Weltkrieg.

Als nach einem gemeinsamen Flug anlässlich des 75. Jahrestags der Staatsgründung Israels 2023 Kritik an der Unterstützung von dessen Besatzungsregime aus der deutschen Bevölkerung kam, konterte die PR-Initiative »Team Luftwaffe« routiniert – und zwar mit dem wirksamsten Mittel gezielter Desinformation, das auch die Propaganda des deutschen Imperialismus immer häufiger anwendet: Antisemitismusvorwürfe. Die manipulative Gleichsetzung von Israel mit dem Judentum, ebenso von Nicht- und Antizionismus mit Judenhass, macht’s möglich: Deutschlands Fliegerasse können nicht nur »antiantisemitische« Völkerrechtsbrüche an der Nahostfront studieren, sondern auch den Hauptfeind im eigenen Land, das Friedenslager, moralisch niedermachen.

Als 2020 Soldaten der IAF erstmalig mit Kampfflugzeugen in die BRD kamen, um mit der Luftwaffe gemeinsame Operationen zu trainieren, wurde als Auftrag formuliert: »Antisemitismus mit aller Konsequenz bekämpfen«. Für eine deutsche Armee, die von Nazioffizieren der Wehrmacht mit aufgebaut worden war und seit 1999 »wegen Auschwitz« bombt, geht das nur mit instrumentellem Philosemitismus. Entsprechend wild werden in der meist pathostriefenden Berichterstattung der Bundeswehr-Medien über die »berührenden Momente« der »einzigartigen Geschichte« der deutsch-israelischen Waffenbrüderschaft die historischen Koordinaten durcheinandergewirbelt: Es ginge darum, »der ganzen Welt zu zeigen, dass aus einer scheinbar unüberwindbaren Feindschaft unzertrennliche Freundschaft entstanden ist«, so der Autor eines Artikels mit dem Titel »Licht im Tal der Dunkelheit« über den gemeinsamen Vorbeiflug von Maschinen der IAF und der Luftwaffe an der KZ-Gedenkstätte Dachau 2020. Dem Reporter war offenbar entgangen, dass Nazideutschland keinen Krieg gegen die Militärmacht Israel (die seinerzeit noch gar nicht existierte) geführt, sondern einen Völkermord an sechs Millionen wehrlosen Juden verbrochen hatte. Werden die Täter überhaupt einmal erwähnt, dann waren das stets »die Nationalsozialisten« – deren Streitkräfte werden bevorzugt selektiv erinnert: »Karl Laabs war Feldwebel der Wehrmacht und rettete mehr als hundert Juden das Leben, indem er sie ähnlich wie Oskar Schindler als Arbeiter anstellte«, so die Bundeswehr in einem Beitrag mit einem Foto, das den israelischen und den deutschen Luftwaffenchef salutierend in Jad Vaschem vor dem Gedenkbaum für einen Hitlersoldaten mit sauberem Waffenrock zeigt.

Opferideologisierung

Historische Gedächtnislücken sorgen für ideologische Leerstellen, die mit geborgten Identitäten ausgeschmückt werden können: Die Führung der Luftwaffe gelobt »Nie wieder!« auf hebräisch, ihr PR-Team wünscht »Schabbat Schalom« und postet stolz Namensschilder von deutschen Fliegern mit jüdisch klingenden Namen. 2023 ließen Reservisten nach dem 7. Oktober als Zeichen »unverbrüchlicher und uneingeschränkter Solidarität« mit Hilfe des Verteidigungsministeriums koscheren Christstollen für die israelischen Kameraden von der Golani-Brigade nach Tel Aviv fliegen – »Ohne Mampf kein Kampf«, so ihr Motto.

»Die Identifikation mit ›Juden‹ beteiligt an deren historischer Opferidentität. Die Solidarität mit dem jüdischen ›Israel‹ stillt zudem politisch den Durst nach Selbst-einmal-Opfer-sein-Dürfen, verspricht aber zugleich die Beteiligung an den ›Siegen‹ der Israelis«, erklärt der Soziologe Moshe Zuckermann den Hang deutscher Reaktionäre zur »Opferideologisierung«, die wahres Gedenken der Opfer »im Stande ihres Opferseins« unterminiere.

Die Matrix dieser pervertierten Vergangenheitsbewältigung findet sich in der »Wiedergutmachung« und dem verordneten Philosemitismus der Architekten (darunter der Miturheber der Nürnberger Rassengesetze Hans Globke), der sich als Kryptoantisemitismus erwies: »Die Macht der Juden – auch heute noch, insbesondere in Amerika – sollte man nicht unterschätzen«, lautete eine Begründung von Konrad Adenauer für das Luxemburger Abkommen. Der KPD-Abgeordnete und Exhäftling des KZ Dachau, Oskar Müller, skandalisierte in einer Bundestagsrede am 18. März 1953, dass die in Israel lebenden ehemaligen Verfolgten des Naziregimes »auch nicht einen einzigen Pfennig erhalten« würden, und nannte die wirklichen Profiteure: »Die amerikanischen Imperialisten, die sich im vorderen Orient einen starken strategischen und militärischen Stützpunkt schaffen« und die »Industrieherren in Westdeutschland, denen es auf mehrere Jahre hinaus Absatz und Riesengewinne sichert« – viele von ihnen waren Hitlerfinanziers und »Arisierer«.

Brother in War Crime

Deutsche Militärpolitik heute exekutiert nicht nur so radikal wie selten zuvor diesen von Oskar Müller so genannten »blutigen Hohn« der »Wiedergutmachung« – sie nutzt Israel auch als gelobtes Land der Kriegstüchtigmachung in ihrer rabiatesten Form. Jüngst veröffentlichte die Informationsstelle Militarisierung einen Bericht, der die Bundeswehr als Israels Brother in War Crime und künftigen Nutznießer des Völkermords in Gaza zeigt. Im großen Stil den Weg dafür freimachen soll eine »Security & Defense Initiative«, die vom Israel-Lobbyverband European Leadership Network (Elnet) Deutschland vorangetrieben wird. Auf dessen Einladung pries Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, im Konzert mit Amikam Norkin, mittlerweile Unternehmer im militärisch-industriellen Komplex, die »operativen und strukturellen Lehren«, die die deutschen Streitkräfte aus der Kriegführung der IDF ziehen können. Die von Rüstungskonzernen wie Elbit Systems unterstützte Veranstaltung fand am 10. Juli 2025 in Berlin unter Mitwirkung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Carsten Breuer, statt. Elnet-Chef Carsten Ovens drängt auf die Einrichtung eines »German-Israeli Defense Tech Hub« und einer »bilateralen Verteidigungsakademie für Technologie und Innovation«. Begründung: Israel sei der »entscheidende Partner«, nicht zuletzt für die Stärkung von Deutschlands Wehrhaftigkeit und Resilienz gegen die »Bedrohung« durch Russland.

Ulrike Meinhofs Befund nach dem 1967er Krieg, die westdeutsche »Israel-Solidarität« gelte nicht den Juden, sondern »der Brutalität, der Vertreibung, der Eroberung«, realisiert sich an der Orientierung der Bundeswehr an den IDF als Armee im permanenten Einsatz ohne Rücksicht auf Verluste. Nicht zufällig wurden deutsche Soldaten in Israel für den »War on Terror« in Afghanistan in Aufstandsbekämpfung trainiert. Die Studie »Durch Wände gehen« von Eyal Weizman, Direktor des Forschungsprojekts Forensic Architecture, lässt mehr als nur erahnen, was das bedeutet: Vom israelischen Urban Warfare, der in den Flüchtlingslagern von Nablus und Jenin rücksichtslos Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer in Operationszonen für Killerkommandos und »koloniale Machtausübung« verwandelt, können die deutschen Streitkräfte vor allem eines (wieder) lernen: die mörderische Entgrenzung kriegerischer Gewalt.

Hintergrund:

Deutsch-israelische Waffenbrüderschaft

Die Militärkooperation zwischen der BRD und Israel begann mit der »Wiedergutmachung«. Sie umfasste Materialbeschaffung wie Ausbildungsmaßnahmen und fand über Jahrzehnte »unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit« statt, wie es in einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags heißt. Nach der Ratifizierung des Luxemburger Abkommens 1953 halfen deutsche Zusagen für die Lieferung von Militärgütern dem Exministerpräsidenten David Ben-Gurion, die Friedensverhandlungen seines Nachfolgers Mosche Scharet mit Ägypten zu sabotieren. 1956/57 wurde mit dem Export von zwei Patrouillenbooten der erste größere Waffendeal besiegelt, der vom Verteidigungsminister Franz Josef Strauß eingefädelt worden war. Im Gegenzug lieferte Israel »Uzi«-Maschinenpistolen und Munition.

Bereits 1955 war auf Betreiben Reinhard Gehlens, ehemaliger Leiter der »Abteilung Fremde Heere Ost« der Wehrmacht, die zukünftige Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit dem Mossad vereinbart worden. Israel verschaffte Bonn Zugang zu von arabischen Staaten erbeuteten Waffensystemen aus der DDR und Sowjetunion für Auswertungs- und Testzwecke. Dafür stattete der BND israelische Agenten mit gefälschten deutschen Papieren für ihre Spionage in Syrien, Irak etc. aus.

1960 wurde durch die streng geheime »Aktion Geschäftsfreund« die deutsche Finanzierung des israelischen Atomprogramms besiegelt (für das Auswärtige Amt waren an den Verhandlungen einstige NSDAP-Mitglieder beteiligt, darunter der Ex-SA-Mann Rolf Otto Lahr). Ab 1962 lieferte die BRD im großen Stil Panzer, U-Boote, Hubschrauber etc. Die Drohungen Ägyptens, die DDR anzuerkennen, bewirkten eine kurzzeitige Drosselung. Diese hielt aber die Entwicklung Israels zu einem der wichtigsten Partner Bonns im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, ab den 1970ern auch bei »Terrorbekämpfung«, etwa durch Hilfe beim Aufbau der GSG 9, nicht auf.

In der Berliner Republik begann nach dem Golfkrieg 1991 die derzeit noch laufende Produktion der atomwaffenfähigen U-Boote der »Dolphin«- und »Dakar«-Klasse für das Israeli Sea Corps (Deutschland übernimmt einen stattlichen Teil der Kosten). Seit 2010 bildet Israel Bundeswehr-Angehörige an Drohnen und für den Häuser-, Tunnel- und Nahkampf aus – vor allem für Auslandseinsätze. Die Joint Ventures zwischen den Rüstungskonzernen Rheinmetall, der Komponenten für den »Merkava«-Kampfpanzer liefert, und Airbus mit unter anderem Israel Aerospace Industries, dem Hersteller der »Heron«-Drohne, sind ein weiterer Indikator für eine nahezu untrennbare Verflechtung zwischen den militärisch-industriellen Komplexen Deutschlands und Israels. (sws)

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