Welt
Von Jürgen Roth
Das Leben ist härter als ein Schwanz«, sagte Gerhard, während er eine Zigarette aus der Packung pfriemelte. Sie dampfen hier ausnahmslos die relativ günstigen Kräuter vom Discounter und geben mir unentwegt eine aus. Da mal drüber nachdenken, Berliner SPD-Büchsen und -Sackler – warum die Knappbetuchten, die sich die Buckel krumm schuften, die großzügigsten Zeitgenossen sind.
»Nein«, widersprach ihm Adrian, der frischbestallte Getränkediensthabende. »Das Leben ist schön, die Welt ist scheiße.« Er grinste ein bisschen unsicher und patschte mit beiden Händen vorsichtig auf den Tresen.
Adrian, ein schmächtiger Siebenbürger Sachse, arbeitet als Altenpfleger in Ansbach. Seine engbemessene Freizeit widmet er Gestalten wie mir, dem Gerhard, dem Christian, dem Ali, dem Josef, dem Lerd, dem Ludwig, der Irene, der Sabine, den anonymen Automatenspielerinnen, den Gammel-Girls, den Club-Fans und so fort – sowie dem Opa.
Irgendwie hatte der Opa im Nebenraum ein paar Brocken von der Sache mit dem Schwanz und dem Leben und überhaupt aufgeschnappt und brüllte, um irgendeinen Senf dazuzuquetschen, herüber: »Ich hab’ heut’ festg’stellt, dass des Freibier des günstigste Bier is’!«
Dirk, der Milchmalocher, leierte erneut um die tausend Euro aus der Geldkiste heraus. Ich fragte Adrian, wie es in der Pflege zugehe. Er schien dafür dankbar zu sein, dass das jemanden interessiert. Die meisten Kinder ließen ihre Eltern regelrecht vergammeln. Zweimal im Jahr kämen sie vorbei und griffen die Mitbringselpauschale ab, ohne der Mutter einmal eine Schachtel Pralinen oder dem Vater eine Wurstsemmel zu schenken. Die Menschen seien Scheusale (er sagte es etwas anders), fürchterliche Egoisten, es sei ein deprimierender Job.
Maja, die Polin mit der Modelfigur, gesellte sich hinzu und bestätigte das. Sie hat jahrelang in Heimen gerackert. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie schlecht die Menschen sind«, sagte sie. Ich meinte, in ihren Augen eine schlimme Traurigkeit zu sehen.
Der Apollo, hieß es, sei jetzt ebenfalls in der Anstalt, in Windsbach. Konnte nicht mehr, mit Mitte siebzig.
Warum man ihn überall Apollo rufe, fragte ich. Ich wusste es nach wie vor nicht. Na, sagte da der Josef, der sei doch Maurer beim Högner gewesen und habe stets mit nacktem, durchtrainierten Oberkörper sein Werk getan. Daher Apollo. Ein Modellathlet.
Adonis wäre passender, wollte ich erwidern, aber Gerhard, längst vom Rauchen zurückgekehrt, war schneller und sagte: »Ja, ja, Jürgen, die ganze Welt ist ein Dorf. Lauter Lumpen. Hier wie do G’schwerdl.«
Im Fernsehen lief »Classicos Exitos – 80s–90s«. Jemand sang: »I’m coming home to stay.«
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