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Aus: Ausgabe vom 11.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Märchenerzählerin des Tages: Veronika Grimm

Von Daniel Bratanovic
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Der deutsche Staat gebietet über ein Gremium mit dem folgenden schönen Namen, wie ihn nur die amtsdeutsche Sprache bereithält: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Weil das zu spröde klingt, hat sich die begleitende Presse schon vor langer Zeit eine eingängige Bezeichnung für das in diesem Rat vertretene Personal ausgedacht: Wirtschaftsweise. Der verheißungsvolle Titel kaschiert erfolgreich, dass diese Leute seit 1963 noch stets den gleichen abgestandenen neoliberalen Cocktail arbeiterfeindlicher Maßnahmen feilbieten – Austeritätspolitik, Sozialabbau, man kennt das.

Angeblich gehört zu den »Wirtschaftsweisen« auch einer mit Gewerkschaftsticket, das kann aber bloßes Gerücht sein, oder haben Sie schon mal von einem Achim Truger gehört? Sehen Sie. Regelmäßig, ja regelrecht aufdringlich und mit dem immergleichen Kroppzeug lässt sich dagegen Veronika Grimm vernehmen, jüngst am Wochenende im Interview mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, woraus die Agenturen sogleich Schlagzeilen buken: »Wirtschaftsweise Grimm hält Leistungskürzungen bei Sozialversicherungen für unumgänglich«. Soll heißen: weniger Rente, weniger Bürgergeld, weniger Kassenleistung. Die Neoliberale mit dem Austeritätsfetischismus will mit solchen Kürzungen die Aufrüstung der Bundeswehr finanzieren und fordert, wie sie dem Deutschlandfunk schon im Mai verriet, das Renteneintrittsalter aus demographischen Gründen etwa alle zehn Jahre um ein Jahr anzuheben. Versteht sich, dass sie Übergewinn- wie Vermögenssteuer ablehnt und findet, dass Deutschland sich zu viele Feiertage leiste.

Wer so redet, hat die Weisheit fürwahr mit Löffeln gefressen. Veronika Grimms Märchen lassen sich allerdings frei Haus mit zwei Ratschlägen parieren: den Sachverständigenrat abschaffen (spart Geld), das Renteneintrittsalter auf 55 Jahre absenken, dann wäre Grimm (Jahrgang 1971) nur noch ein Jahr zu ertragen.

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  • Leserbrief von Holger Sauer (11. August 2025 um 10:21 Uhr)
    Bravo! Eigentlich sagt der originelle Titel »Märchenerzählerin des Tages: Veronika Grimm« von Daniel Bratanovic schon alles. Grimm ist anzumerken, dass durch das Ausstoßen des »immergleichen Kroppzeugs« ihre Selbstverödung weit fortgeschritten ist. Danke auch für den Hinweis auf Achim Truger. Als Impetus gegen den derzeitigen Kulturstaatsminister, der gegen das Gendern vorgeht, wünsche ich mir eine Ergänzung: Austeritätspolitik, Sozialabbau, man (und frau) kennt das.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (10. August 2025 um 22:18 Uhr)
    »Der deutsche Staat gebietet über ein Gremium«? Wäre der Sachverhalt nicht besser so formuliert: Ein Gremium gebietet über den deutschen Staat? Warum? Manche Märchen werden wahr. In diesem Falle halt für eine bestimmte Clique (Klasse darf man ja nicht sagen). Für die Wirtschaftswaisen (Arbeiterklasse darf man ja auch nicht sagen) werden halt Horrorgeschichten wahr.

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