Die Macht der Tatsachen
Von Reinhard Lauterbach
Jetzt ist das Wort ausgesprochen: »Gebietstausch«. Donald Trump hat angedeutet, dass es ihm bei seinem bevorstehenden Gipfel mit Wladimir Putin um Modalitäten solcher Grenzverschiebungen gehen werde. Das reichte schon, um sowohl in Kiew als auch in diversen EU-Hauptstädten Schnappatmung auszulösen. In der Abschlusserklärung ihres Krisentreffens von Sonnabend bliesen die »Europäer« erst die Backen auf und forderten, Grenzen dürften nicht mit Gewalt verändert werden. Zwei Sätze später hieß es dann, die jetzige Frontlinie müsse »der Ausgangspunkt für Verhandlungen« werden. Ja, was denn jetzt? Ist dieser »Ausgangspunkt« etwa nicht mit Gewalt zustandegekommen? Und hat irgend jemand in Brüssel, Berlin, London oder Paris Anhaltspunkte dafür, dass dieser Krieg mit irgend etwas unterhalb des Einfrierens entlang der jetzigen Frontlinie beendet werden könnte?
Schon wieder folgt auf die markige Forderung nach »robusten Sicherheitsgarantien« für Kiew das kleinlaute Eingeständnis, dass diese »möglichst unter Einbeziehung der USA« gewährt werden sollten. Und wenn die »nö« sagen, weil sie sich schon auf den nächsten Krieg – gegen China – vorbereiten und ihre Waffen dafür bunkern wollen, wie das US-Verteidigungsministerium schon laut überlegt? Dann wären die Brüsseler Bremser das, was die New York Times am Sonnabend schon einmal schrieb: »sidelined«. An den Rand gedrängt.
Im Kielwasser der EU-Erklärung meldete sich auch Wolodimir Selenskij zu Wort: Die Ukraine könne nicht »Gebiete verschenken, die Russland nicht schon kontrolliert«. Grundkurs Sophistik: andere aber womöglich schon? Selenskijs politischer Konkurrent Witalij Klitschko wagte sich gegenüber Bild vom Sonnabend einen kleinen Schritt weiter vor: Es sei zu früh, über Gebietsverzicht zu sprechen. Doch wann kommt dieser Zeitpunkt? Denn dass er kommt, unterstellt der Kiewer Bürgermeister stillschweigend. Weiter Klitschko: Das zu entscheiden, sei im übrigen Sache des Präsidenten. Klar, er will sich nicht vor der Zeit die Finger an dem Thema verbrennen. Und nochmals Klitschko: »Ein Teil der Menschen« werde nie bereit sein, einen »Teil unseres Landes an Russland zu geben«. Und ein anderer vielleicht schon? Schon dass sich Klitschko mit diesen Äußerungen zitieren lässt, zeigt, dass die Mauer des in Kiew Unsagbaren zu bröckeln beginnt.
Russland hat den Ukraine-Krieg nicht für irgendwelche ukrainischen Gebiete begonnen, sondern in erster Linie, um den NATO-Beitritt des Landes zu verhindern. Wenn Trump sich in dieser Frage offen zeigt, könnte vielleicht auch Bewegung in die Friedens- und Territorialfrage kommen. Anlass dazu hätte der US-Präsident. Seine angedrohten Sanktionen und Strafzölle gegen Indien und China drohen zu verpuffen. Indiens Ministerpräsident Narendra Modi hat als Reaktion eine »Intensivierung« der Beziehungen seines Landes zu Russland angekündigt.
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