Kein Joint mehr per Post
Von Florian Osuch
Das Gesundheitsministerium plant eine kleine, aber entscheidende Änderung im »Medizinal-Cannabisgesetz« (MedCanG). Ein aktueller Referentenentwurf aus dem Haus von Ministerin Nina Warken (CDU) sieht vor, dass Patienten medizinisches Cannabis nur noch nach persönlichen Kontakt mit einem Arzt verschrieben bekommen können und dass das Präparat nicht mehr über den Postweg versendet werden kann.
Das MedCanG ist neben dem Gesetz für Genusscannabis ein zweiter Pfeiler der Cannabisreform, die im April 2024 in Kraft getreten war. Grundsätzlich hatte sich für medizinisches Cannabis wenig geändert, aber es wurde aus der berüchtigten Liste für Betäubungsmittel gestrichen. Fortan war für derlei Präparate kein spezielles Rezept für Betäubungsmittel mehr nötig.
Große Importmengen
Das Gesundheitsministerium will nun herausgefunden haben, dass Konsumenten von Haschisch oder Gras zunehmend über den Umweg einer ärztlichen Medikation online und per Briefsendung Cannabis bestellen. Eigentlich ist es gar kein Umweg, sondern eine sehr bequeme Form, die viele Jahre illegalisierte Substanz als medizinisches Produkt zu beziehen. Diverse Webportale bieten nach dem Ausfüllen eines kurzen Fragebogens – offiziell ist das bereits eine ärztliche Konsultation – ein reichhaltiges Cannabisangebot. Beim Bestellen wird ein Privatrezept generiert, das an eine Apotheke übermittelt wird, die dann das Präparat per Post versendet. Die Plattformen legen Wert darauf, nur vermittelnd tätig zu sein, weil kommerzieller Handel mit Cannabis weiterhin verboten ist. Der Kunde bzw. Patient bestellt und bezahlt – das Trio aus Onlineplattform, Mediziner und Apotheke teilen sich den Ertrag. Pionier auf diesem Gebiet ist der Jurist und Unternehmer Can Ansay. Sein Portal bietet zum Cannabis gleich einen »AU-Schein«, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, per Mail. Die Firma Ansays nutzte bereits während der Covid-Pandemie die Möglichkeiten der Fernbehandlung, sogenannte Telemedizin, um Corona-negativ-Zertifikate online auszustellen – natürlich gegen Gebühr. Dafür genügte die Aussage, man habe sich selbst negativ auf das Virus getestet, nachweisen musste man das nicht.
Der Verdacht des Gesundheitsministeriums scheint zu stimmen. Nach der Reform vom April 2024 ist der Import von Cannabis für medizinische und wissenschaftliche Zwecke in Deutschland rasant angestiegen. Im vorliegenden Referentenentwurf heißt es, die Menge habe sich »vom ersten Halbjahr 2024 zum zweiten Halbjahr 2024 um 170 Prozent gesteigert«. Das Ministerium beruft sich auf Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das den Cannabisimport streng überwacht. Auch das Deutsche Ärzteblatt hat die Quartalszahlen von 2024 ausgewertet. Vom ersten Quartal 2024 (kurz vor der Reform) bis zum vierten Quartal stieg der Import von 8,1 auf 31,7 Tonnen (plus 290 Prozent). Die Einfuhr erfolgt ausgerechnet aus jenen Ländern, in denen die führenden Cannabiskonzerne aus den USA und Kanada große Produktionsstätten betreiben, wie beispielsweise Portugal.
Nun könnte man argumentieren, viele Patienten hätten sich bisher nur nicht getraut, beim Hausarzt nach medizinischem Cannabis zu fragen. Allerdings weist das Gesundheitsministerium darauf hin, dass im Gegensatz zum sprunghaft gestiegenen Import, »die Verordnungen von Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur um neun Prozent gestiegen« seien. Weiter heißt es: »Diese Inkongruenz legt nahe, dass die steigenden Importzahlen insbesondere der Belieferung einer zunehmenden Anzahl an Privatrezepten außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung dienen.« Tatsächlich stellen die telemedizinischen Plattformen solche Privatrezepte aus. In die Statistiken der Krankenkassen fließen solche Verschreibungen nicht ein. Das Gesundheitsministerium bemängelt die Praxis, dass »Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken ohne jeglichen oder ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt bezogen werden können«.
Dr. Ansay geht in die Politik
Konkret sieht der Referentenentwurf zwei Dinge vor. Erstens habe für eine Verschreibung ein »persönlicher Kontakt« zwischen Mediziner und Patient »in der Arztpraxis oder im Hausbesuch« zu erfolgen. Zweitens ist »ein Inverkehrbringen im Wege des Versandes (…) nicht zulässig«. Damit dürfte das Geschäftsmodell von »Dr. Ansay« und Co. vorerst beendet werden. Doch der findige Unternehmer hat bereits reagiert. Eine Onlinepetition »Stoppt das drohende Verbot von medizinischem Cannabis!«, die er mit zwei weiteren Unternehmen gestartet hat, wurde allerdings erst etwas mehr als 31.000mal unterzeichnet. Ansay weist jedoch auf ein Problem hin, sollte das Verbot telemedizinischer Leistungen wirksam werden. Patienten müssten dann wieder teils lange Wege auf sich nehmen, um vor Ort bei einem Arzt ein einfaches Rezept zu erhalten. In der Petition heißt es: »Gerade ältere Menschen, Menschen mit eingeschränkter Mobilität und Patienten in ländlichen Gebieten wären von einem Verbot besonders betroffen.«
Neben der Petition plant der Unternehmer offenbar den Sprung in die Politik. Er hat eine Partei gegründet, die seinen Namen trägt. Wie bereits beim »Team Todenhöfer« und beim BSW ist auch bei der »Dr.-Ansay-Partei« der Namensgeber Vorsitzender und nach Selbstdarstellung »revolutionärer Techunternehmer & Bürgerrechtler«. Er wolle seine »Vision als Volksheld und Topunternehmer nun auch als Partei fürs Volk« umsetzen. Die Formation sei »radikal, aber nicht links oder rechts, sondern geradeaus«. Vermutlich schielt er auf Unterstützung seine Kundinnen und Kunden, die bei ihm ein Coronazertifikat, medizinisches Cannabis oder die ursprünglich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelte »Abnehmspritze« bestellt haben.
Zurück zum Dealer
Ob die CDU mit ihrer Reform bedacht hat, dass die Konsumierenden, die bisher über den Umweg der Telemedizin ihren Stoff bezogen hatten, auf eine andere Weise an Cannabis kommen, ist offen. Sie werden vom begehrten Gras nicht lassen. Kritisiert werden die Änderungen deshalb auch von der Fraktion Die Linke im Bundestag. Deren Gesundheitsexperte Ateş Gürpinar sagte gegenüber dem Rechtsmagazin Legal Tribune Online: »Eine Einschränkung des Medizinal-Cannabisgesetzes, ohne gleichzeitig echte und legale Bezugswege für Genusscannabis zu schaffen, ist nicht nur realitätsfern – sie kriminalisiert weiterhin Konsument:innen und setzt sie allen Risiken des Schwarzmarktes aus.« Genau dieser sollte jedoch mit der Teillegalisierung zurückgedrängt werden. Wer also nicht – wie viele Jahre zuvor – zum Dealer gehen möchte, dem bleiben zwei Optionen: Eigenanbau – dafür sind Zeit, einiges an Equipment sowie etwas gärtnerisches Geschick erforderlich – oder die Mitarbeit in einem Cannabisklub. Der Gang zum Dealer ist vermutlich zunächst einmal der bequemere, wenn auch illegal.
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