Aus Leserbriefen an die Redaktion

Hibakusha
Zu jW vom 6.8.: »Hohes Atomkriegsrisiko«
In Japan werden die Überlebenden der Atomangriffe und ihre Nachkommen bis zur zweiten Generation als Hibakusha (Atombombenüberlebende oder den Strahlen Ausgesetzte) bezeichnet. Dies führte zu einer zusätzlichen Diskriminierung jener Personen, da man Missgeburten oder behinderte Kinder befürchtete, was nach den ersten Kriegsjahren auch regelmäßig vorkam. Vor allem japanische Frauen, welche die beiden Atomangriffe überlebten, wurden wie »Aussätzige« behandelt. Sie konnten oft keinen Partner finden. Das Thema wurde und wird in Japan – mit einer nach wie vor mehrheitlich wertkonservativen Gesellschaft – tabuisiert.
Die Hibakusha erhalten bis heute vom japanischen Staat eine »großzügige« Gesundheitsunterstützung, und die zweite und dritte Generation der Überlebenden scheinen keiner Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Im kürzlich erschienenen isländischen Film »Touch« von Baltasar Kormákur kommt das Thema ebenfalls hoch. Der Vater möchte die Tochter sterilisieren lassen. Da sie jedoch bereits schwanger ist, wird sie nach der Geburt gezwungen, ihren Sohn zur Adoption »freizugeben«, um nicht ein Kind zu haben, welches das Ansehen und die Ehre der Familie schaden könnte.
Martin Mandl, Paris
Lehrjahre des Zynismus
Zu jW vom 1.8.: »Attacke gegen Schwache«
Herr Merz hat es von sich gegeben, auch der CSU-Generalsekretär Martin Huber. Sparen lassen sich Milliarden, wenn nach dem althergebrachten Rezept verfahren wird: kräftig nach unten treten. Soll heißen: Einschnitte in sozialen Bereichen vornehmen, um das eingesparte Geld für notleidende Bereiche wie die Verteidigung einzusetzen. Damit hat sich die CDU/CSU ins eigene Fleisch geschnitten, was ihr bei allem Populismus völlig entgangen ist. Merz’ Aussage dürfte wohl mit seinen Lehrjahren bei Blackrock zusammenhängen. Denken und Handeln sind seitdem bei ihm rendite- und profitorientiert, aber stark sozialfeindlich geprägt. Gerade das Thema »Bürgergeld« scheint viele Politiker in unserem Lande zu beschäftigen, die teils hanebüchene und sachlich falsche Aussagen machen. Auch eine Frau Weidel von der AfD meint, mit Migrantenschelte im Sozialbereich Pluspunkte sammeln zu können. Bei all diesen Diskussionen wird gerne übersehen, dass gerade im steuerpflichtigen Niedriglohnsektor der Anteil von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund bei über 35 Prozent liegt, bei Arbeitnehmern ohne Migrationshintergrund lediglich bei 16 Prozent. Dass der Verdienst bei vielen hinten und vorne nicht reicht, um über die Runden zu kommen, versteht sich von selbst. Für die künftige Rente anzusparen: eine Illusion. Die Altersarmut ist hier bereits vorprogrammiert. Ja, diesen Beschäftigten bleibt nichts anderes übrig, als Bürgergeld zu beziehen, um vor allem die immer höher werdenden Mieten bezahlen zu können und nicht auf der Straße zu landen. Dass die Bundesausgaben für Bürgergeld immer höher werden, haben sich Parteien wie die CDU/CSU und vor allem die FDP selbst zuzuschreiben. Sie waren und sind es, die sich gegen eine Mietpreisbremse ausgesprochen haben. Grund: Immobilienkonzerne, für die Wohnraum zu reinen renditebestimmten Spekulationsobjekten verkommen ist, sind die Klientel dieser Parteien. Sich das Maul jetzt über das Mehr an Bürgergeld zu zerreißen, ist an Zynismus kaum zu toppen.
Rudi Eifert, Langenhagen
Holzwege
Zu jW vom 28.7.: »Ideologischer Rollback«
Die Science Busters legen überzeugend dar: »Wer nichts weiß, muss alles glauben.« Ideologischer Rollback oder konsequente Fortsetzung kapitalistischer Herrschaftssicherung mit aktuellen ideologischen Mitteln? Mit dem Foucaultschen Pendel – ob als Pendel oder als Roman – kann ich was anfangen, mit Michel Foucault nicht. Wenn man Vernunft als Folter interpretiert, entzieht man sich ihr, oder versucht es wenigstens. Vermutlich liegt genau da der Hase im Pfeffer. Ich halte die Behauptung: »Diese Situation ist Ausdruck einer geistigen Klimaveränderung, die in der Bereitschaft großer Teile der Intelligenz kulminiert, ihren Kritikanspruch gegen intellektuellen Relativismus und affirmative Grundhaltungen einzutauschen« weder für begründet noch für zielführend. Mindestens müsste sie in einen historisch-materiellen Kontext eingebettet werden: Ich vermute, »Klimaveränderung« bezieht sich auf die Zeit nach 1968. Weiter, »dass die individuelle Situation für viele Geistes- und Kulturarbeiter ›ungemütlicher‹ geworden ist«, ist nicht neu. Für viele Geistes- und Kulturarbeiter wurde um 1933 herum die »individuelle Situation« sogar lebensbedrohlich. Es sei an Bücherverbrennungen und »deutsche Physik« erinnert. Große Teile der Intelligenz hatten nie einen Kritikanspruch, ob in der Kaiserzeit oder in der Zeit der Weimarer Republik (in der Bundesrepublik auch nicht). Wenn ich an eine »Legitimationskraft der Metaerzählungen« glauben muss, bin ich von vornherein auf dem Holzweg. Ich sollte wissen, was ich glauben muss und was ich wissen kann, besser: was ich weiß. Da liegt die Schlussfolgerung nahe: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Dieses »Nichts« kann aber ganz schön viel sein, denn das Nichts ist nicht. Schlussbemerkung: Der Artikel offenbart (nach meiner bescheidenen Meinung) eine Achillesferse der marxistischen Linken, die eigene Sicht für allgemeinverbindlich und »den Marxismus« als wissenschaftliche Weltanschauung als sich historisch automatisch durchsetzend zu erachten.
Heinrich Hopfmüller, Stadum
Vor allem japanische Frauen, welche die beiden Atomangriffe überlebten, wurden wie »Aussätzige« behandelt. Sie konnten oft keinen Partner finden. Das Thema wurde und wird in Japan – mit einer nach wie vor mehrheitlich wertkonservativen Gesellschaft – tabuisiert.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.