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Aus: Ausgabe vom 09.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Einfallstor

Rückzug von Brosius-Gersdorf
Von Arnold Schölzel
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Frauke Brosius-Gersdorf (l.) mit Liane Wörner, Universität Konstanz, Koordinatorin der Arbeitsgruppe 1 Schwangerschaftsabbruch

Zur Wahrung von Anstand, Respekt und Glauben »verfällt« das deutsche Bürgertum regelmäßig auf Unanständigkeit, Lügen und Fälschungen, nach Brechts Meinung auch in SS- und Panzerdivisionen. Das Zurstreckebringen der SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, die liberalkonservative Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, ist der jüngste Musterfall. Läuft der Kapitalismus nicht, geht die Fassung schneller verloren als der nächste Krieg.

Unter »Bourgeoises Pack schlägt sich, Pack verträgt sich« lässt sich dieser Fall aber nicht allein abbuchen. Brosius-Gersdorf schreibt in ihrer Rückzugserklärung, »neu und bedrohlich« sei, dass sich »zum Teil KI-generierte Desinformations- und Diffamierungskampagnen Bahn brechen zur Herzkammer unserer Demokratie, dem Parlament«. Dazu lässt sich nach Erfahrung mit US-Internetkonzernen, die mit Geheimdiensten aufs engste verbandelt sind, und dem Streben nach Macht der Apple, Microsoft, Meta, Paypal und Palantir sagen: Sie behalten die herrschenden Gedanken den eigenen oberen Etagen vor. Fürs »Social media«-Volk, in ihren Geschäftsmodellen zahlungswillige Idioten, sind Teil- und Unwissen, vor allem aber die herrschenden Emotionen vorgesehen – Hass, Pöbelei und »Spaß«. Neu ist das nicht, es kam mit Trump bereits ins Ziel von Peter Thiel. Es ist bedrohlich.

Hierzulande steckt aber diese Herrschaftsvariante reaktionärer bis faschistischer Milliardäre noch in den Anfängen. Mühsam lässt sich die AfD von diesem oder jenem steuerflüchtigen Superreichen sponsern, die rechten Internetportale, in denen die Kampagne gegen die Brosius-Gersdorf orchestriert wurde, sind der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Zum Erfolg in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verhalf, da hat die Juristin recht, die FAZ, die sich vor den Karren von Tichys Einblick, Junge Freiheit oder Compact spannte. Die »Zeitung für Deutschland« verbreitete inkompetentes Zeug einer anonym bleibenden CDU-Landesjustizministerin über Brosius-Gersdorf, verfiel also den Maßgaben der Anstandswahrung wie oben benannt. Die kleine neue Harzburger Medienfront aus rechtem Gefühlsgeblök mit Kalkül entstand, das sei hier mal juristisch ungedeckt behauptet, unter Regie, auf jeden Fall unter Verantwortung des für Politik zuständigen FAZ-Koherausgebers Berthold Kohler, der dafür wahrscheinlich kurz aus seinem Permanenzirrsinn aus rassistischer Russophobie und Putin-Psychographie geweckt werden musste.

Die FAZ hat sich bewusst zum Einfallstor für Parlaments- und Koalitionszerstörung gemacht. Das Klappergerüst der Merz/Klingbeil-Regierung benötigte zwar den zusätzlichen Stupser nicht, um ins Schlingern zu kommen. Dafür sorgen schon der eigene Rüstungswahn und der Aufschwung, der nicht kommt. Die rechte Aktion signalisiert aber: Teile des deutschen Bürgertums drängen auf gemeinsame Aktion mit Neofaschisten.

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