»Man wollte mich mundtot machen und kriminalisieren«
Interview: Gitta Düperthal
Sie leben seit mehr als einem Jahrzehnt als anerkannter politischer kurdischer Geflüchteter aus der Türkei in der Schweiz. Am 1. August sind Sie an der deutsch-niederländischen Grenze nahe Aachen von der deutschen Bundespolizei festgenommen und schikaniert worden. Wie kam es dazu?
Ich wollte an jenem Freitag abend einreisen, um meine Frau zu besuchen, die in der Nähe von Darmstadt wohnt. Gegen 18.50 Uhr holte mich die Bundespolizei plötzlich ohne ersichtlichen Grund aus dem Reisebus. Obgleich ich ein legales Aufenthaltsrecht in der Schweiz habe, meine Papiere ordnungsgemäß sind und ich aufgrund der Freizügigkeit in der EU reisen kann, wurde mir die Einreise verweigert. Als Journalist besitze ich einen internationalen Presseausweis, bin beim Büro der Vereinten Nationen in Genf akkreditiert. Dennoch wurde ich festgenommen und stundenlang bis ungefähr 23.30 Uhr in eine Zelle gesperrt. Mündlich wurde mir mitgeteilt, dass gegen mich ein Einreiseverbot für Deutschland bestehe, weil mein Versuch einzureisen, mit meinen journalistischen Tätigkeiten begründet sei. Ich verlangte, das Einreiseverbot schriftlich zu erhalten.
Bekamen Sie das Dokument?
Nachdem ich es wiederholt eingefordert hatte, erhielt ich schließlich ein Schreiben mit dem Titel »Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland«. Darin wurde pauschal behauptet, ich stelle »eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Schengen-Staaten« dar. Datiert war das Schreiben auf den 1. August 2025: Falls das Einreiseverbot zuvor bestand, weshalb trägt es das aktuelle Datum? Das ist absurd.
Sie vermuten türkischen Einfluss hinter der unwürdigen Behandlung – weshalb?
Ich wurde durchgängig von Beamten mit türkischem Hintergrund betreut, die meinen Wunsch nach Übersetzung ins Türkische oder Französische ignorierten. Mir wurde gedroht: Würde ich nicht 900 Euro zahlen, übergebe man meinen Fall dem türkischen Konsulat, ich würde in die Türkei abgeschoben. Ansonsten werde man mich in die Schweiz abschieben. Aus Sorge wegen des rechtswidrigen Verhaltens und um meine persönliche Sicherheit zahlte ich den Betrag gezwungenermaßen. Auf mein Drängen hin erhielt ich zwar eine Quittung, auf der jedoch die Höhe des Betrags nicht angegeben war. Nach fünf Stunden in Gewahrsam wurde ich von Polizisten über mehrere Stationen – Aachen, Mannheim, Baden-Baden und Freiburg – an die Schweizer Grenze gefahren. Morgens in aller Frühe, gegen fünf Uhr, nötigte man mich, diese zu Fuß zu überqueren. Um die Uhrzeit war es sehr kalt.
Wie sind Sie behandelt worden, dass Sie von Willkür sprechen?
Man hat meine Fingerabdrücke genommen und Fotos von mir gemacht. Während des Transfers erhielt ich weder Wasser, noch konnte ich eine Toilette aufsuchen; ich hatte keinen Zugang zu einem Anwalt oder Dolmetscher. Geld, Handy, Laptop und Bankkarten wurden einbehalten. Das ganze Procedere stellte eine undokumentierte und menschenrechtswidrige Abschiebung durch deutsche Polizeibeamte dar.
Könnte es sich um Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter handeln?
Nein, das hat System. Deutschland hat sich in Abhängigkeit zur Türkei begeben. Sei es wegen deren Aufnahme von Geflüchteten, Rüstungsdeals – oder aus alter Freundschaft zu dem Regime, das Oppositionelle ins Gefängnis einsperren und foltern lässt. Dass ich als aus der Türkei geflüchteter Kurde ausschließlich mit türkischstämmigen Polizisten konfrontiert war, widerspricht dem Neutralitätsgebot. Man wollte mich als kritischen kurdischen Journalisten einschüchtern, mundtot machen und kriminalisieren. Zumindest aber hat man bei der Polizei jegliche Kontrolle darüber verloren. Das wird rechtliche Konsequenzen haben, mein Anwalt wird Strafanzeige stellen. Ein solches Vorgehen steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Europäischen Union, zur Menschenrechtskonvention und dem Schengener Rechtssystem.
Serkan Demirel ist Kurde aus der Türkei. Der Journalist lebt seit 2013 in der Schweiz
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