»Der Erfolg geht auf zehn Jahre Boykottarbeit zurück«
Von Luca De CrescenzoJosé Nivoi ist Sprecher des Autonomen Hafenarbeiterkollektivs (Collettivo Autonomo Lavoratori Portuali, CALP) in Genua
Sie haben Ihre erfolgreiche Blockade eines für Israel bestimmten Waffentransportes in Genua selbst als »erstaunlich« bezeichnet. Was steckt hinter diesem tatsächlich beeindruckenden Sieg?
Zunächst geht dieser Erfolg auf eine über zehn Jahre andauernde Arbeit für den Boykott der Waffenlieferungen, die über unseren Hafen laufen, zurück. Auf diesen Bemühungen hat sich eine Glaubwürdigkeit aufgebaut, die bewirkt, dass uns – obwohl wir ein kleines Kollektiv bleiben – viele Arbeiter folgen, wenn wir zum Streik aufrufen. Und zwar nicht nur aus unserer Gewerkschaft Union Sindicale di Base, kurz USB, die zudem an Mitgliedern wächst und in manchen Betrieben bereits die stärkste Gewerkschaft ist. Hinzu kommt die Sensibilität für die palästinensische Frage, die mittlerweile niemanden mehr gleichgültig lässt.
Auch die Unternehmen nehmen diese Beteiligung inzwischen wahr.
Genau. Am 20. Juni hatten wir beispielsweise zu einem Streik aufgerufen, an dem nachweislich 80 Prozent der mehr als 2.000 Beschäftigten teilgenommen haben. Diese Zahlen sind den Unternehmen bekannt. Im Fall der »Cosco Pisces« war es eine wirtschaftliche Kalkulation: Soll ich riskieren, eine gesamte Ladung von Tausenden Containern zu verlieren, nur weil ich unbedingt diese drei entladen will? Besser, sie zurückzubringen – und dafür sicher zu sein, dass alle anderen gelöscht werden können.
Und Sie haben natürlich überprüft, ob dieses Versprechen eingehalten wurde.
Natürlich, die diensthabenden Arbeiter haben alles genau kontrolliert.
Also mussten Sie gar nicht erst streiken.
Nein, unglaublich! Fast schade … Aber die Bürger von Genua waren sicher froh, denn bei solchen Aktionen steht die Stadt praktisch still. Das hat sicher auch eine Rolle gespielt.
Entscheidend waren auch die internationalen Kontakte, die Sie im Laufe der Zeit aufgebaut haben.
Ja. Der Aufruf kam nämlich vom Hafen Piräus in Athen, wo die Gewerkschaft Enedep zum Streik aufrief, begleitet von einer Demonstration, die das Unternehmen zwang, die Container zurückzuhalten. Enedep ist Teil des kämpferischen PAME-Dachverbands, den die Kommunistische Partei Griechenlands gegründet hat. Als klar war, dass das Schiff nach Genua fahren würde, haben sie uns informiert – und wir wurden aktiv.
Wie ist Ihr Verhältnis zu ihnen und wie hat es sich entwickelt?
Inzwischen sehr eng, dank langjähriger Arbeit, mindestens seit 2020, als die Idee eines internationalen Netzwerks von Hafenarbeitern gegen den Krieg entstand. Neben der gemeinsamen Mitgliedschaft im Weltgewerkschaftsbund WFTU, die uns offizielle Kanäle eröffnete, beruhte die Beziehung anfangs weitgehend auf informellen Kontakten. Organisatorisch war das natürlich unzureichend, schuf aber Vertrauen. Wir haben die griechischen Genossen dann nach Italien eingeladen und waren selbst in Griechenland, Slowenien, Marseille, Hamburg. Immer deutlicher sahen wir, wie ähnlich die Arbeitsbedingungen in Häfen sind – unabhängig davon, ob sie von italienischen, französischen oder chinesischen Monopolunternehmen, wie im Fall Griechenlands, kontrolliert werden. Zwar herrschen nicht überall dieselben Kampfbedingungen: In Italien oder Frankreich ist Streiken viel leichter als in Deutschland. Um so wichtiger ist Koordination. Mit der Zeit wurde sie zur Norm.
Gab es weitere solche Fälle, auch in jüngster Zeit?
Ja, im Juni mobilisierten wir gemeinsam mit den Genossinnen aus Marseille, um ein israelisches Schiff, zu stoppen. An Bord befanden sich Container mit Munition für Maschinengewehre, bestimmt für den Hafen von Haifa – dieselben Waffen, die beim berüchtigten »Mehlmassaker« eingesetzt wurden, als die israelische Armee auf unbewaffnete Zivilistinnen schoss, die für Brot anstanden. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Marseille verhinderten die Containerabfertigung. Da wir befürchteten, die Operation könne nach Genua verlagert werden, riefen wir einen Streik aus, der den Hafen völlig lahmlegte. Danach drohte ein Anlegen in Salerno, doch auch dort wurden Arbeiter und Unterstützer aktiv – und es kam nicht dazu.
Also ist aus den Beziehungen nun eine klarere Struktur erwachsen?
In Wirklichkeit war schon diese Aktion das Ergebnis eines qualitativen Sprungs in den internationalen Beziehungen – ausgelöst durch das Treffen der Hafenarbeiter am 28. Februar in Athen. Ein großartiger Moment, auch weil an diesem Tag eine Million Arbeiter beim vom PAME ausgerufenen Generalstreik auf der Straße waren. Vor allem aber war er produktiv: Wir verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung, die von den Arbeitsbedingungen ausging, sich über die Opposition gegen den Krieg fortsetzte und in der bedingungslosen Solidarität mit dem palästinensischen Volk mündete. Der Weg geht weiter: Am 25. September werden wir in Genua eine weitere internationale Versammlung ausrichten.
Und auf nationaler Ebene?
Als USB gründeten wir im Mai 2021 eine nationale Hafenkoordination. Die CALP-Arbeiter waren zuvor bei CGIL, der größten traditionellen Gewerkschaft Italiens, organisiert und wechselten zur USB über. Viele Kolleginnen aus vielen weiteren Städten schlossen sich dem an. Mit allen gibt es eine starke politische Aktivierung zum Thema Waffentransporte. In Livorno entstand etwa die Autonome Hafenarbeitergruppe (Gruppo Autonomo Portuali, GAP) nach unserem Vorbild. Aber auch in Salerno oder Triest wird mobilisiert.
Und wie steht es mit Koordinierungen zwischen den Gewerkschaften aus, auch über Häfen und Transportsektor hinaus?
Eine Koordinierung der kämpfenden Gewerkschaften wäre unbedingt nötig. Derzeit existiert nur eine einzige – die der Eisenbahner – an der wir mit anderen Basisgewerkschaften beteiligt sind. Paradoxerweise ist es aber bei Hafenarbeitern schwieriger, die Spaltungen zu überwinden. Es herrschen viel Misstrauen, Konkurrenz und persönliche Eitelkeiten. Das bedaure ich sehr, aber so ist es.
Und doch wäre es notwendig – nicht nur, um wirksame gemeinsame Aktionen zu organisieren, sondern auch, um Angriffen von Unternehmen und Staat standzuhalten. Die USB selbst war Opfer harter Repression.
Unsere politische Arbeit blieb nicht unbemerkt. Man versuchte uns auf schlimmste Weise zu treffen: mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung. Sie wollten Waffen und Kriegsschiffe, die wir blockierten, mit lebenswichtigen Gütern gleichsetzen. Ein lächerlicher Vorwurf, der nie vor Gericht kam und zwei Jahre später fallengelassen wurde. Doch dank dieser Anschuldigung konnten sie unsere PCs, Tablets und Handys beschlagnahmen, uns überwachen, beschatten und schließlich auch unser besetztes Sozialzentrum nahe dem Hafen schließen, wo wir auch ein Volkssportzentrum betrieben.
Aber es hat auch viel Solidarität ausgelöst.
Ja, wir erhielten erstaunlich vielfältige Unterstützung – nicht nur von Arbeiterinnen und politischen Aktivistinnen, sondern auch von Vereinen, Intellektuellen, Künstlern … Sogar von Papst Franziskus! Am Ende hat uns diese Geschichte paradoxerweise geholfen und uns zusätzliche Motivation gegeben: Wenn sie uns so angreifen, bedeutet das, dass wir gute Arbeit leisten.
Wie rüsten Sie sich für die Zukunft?
Vor einem Monat organisierte die USB eine Tagung über das Recht der Arbeiter auf Kriegsdienstverweigerung beim Waffentransport. Neben Arbeitern, Forschern und Studierenden war auch ein Anwaltsteam dabei, das uns hilft, in diesem Bereich juristische Instrumente zu entwickeln.
Wollen Sie sich auch auf internationale Abkommen berufen, die verpflichten, Handlungen zu unterlassen, die mögliche Genozide unterstützen? Es sind doch faktisch Sie, die das Recht verteidigen!
Nein, ehrlich gesagt haben wir darüber bisher nicht nachgedacht.
Kürzlich entstanden Kampagnen für ein Waffenembargo, etwa gegen den Logistikkonzern Mærsk, initiiert von Organisationen wie dem »Palestine Youth Movement« und BDS. Wie ist euer Verhältnis zu ihnen?
Wir arbeiten aktiv mit diesen Organisationen zusammen und haben uns der Kampagne gegen Mærsk angeschlossen – eher wegen ihres politischen Werts, denn Italien läuft die Reederei nicht an. Wie wir den Initiatoren erklärten, gilt es, hier die anlandenden Reedereien zu treffen, das sind etwa Zim, Cosco oder MSC. Entscheidend ist das Bewusstsein, die Arbeiterklasse mobilisieren zu wollen. Es liegt an uns allen, den Aktionsradius zu erweitern und dort zuzuschlagen, wo es nötig ist.
Hintergrund
Italien ist nach den USA und Deutschland der drittgrößte Waffenlieferant für Israel. Nach dem israelischen Angriff auf Gaza hat die italienische Regierung neue Waffenverkäufe zwar ausgesetzt, aber weiterhin bestehende Verträge erfüllt – und liefert dem zionistischen Staat Ersatzteile, Munition und sogenannte Dual-Use-Technologie. Währenddessen finden viele Unternehmen Wege, die beschlossenen Einschränkungen zu umgehen.
An diesem Punkt tritt die Aktivität der Arbeiter in der Rüstungslieferkette auf den Plan – mit Streiks, Blockaden und Protesten. Für Dienstag war die Löschung von drei Containern voller Waffen im Hafen von Genua geplant. Diese hatte die »Cosco Pisces« der Hongkonger Reederei Cosco Shipping geladen. Ein Streikaufruf des Collettivo Autonomo Lavoratori Portuali, kurz CALP (deutsch: Autonomes Kollektiv der Hafenarbeiter) reichte schließlich für die erfolgreiche Blockade aus. (ldc)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (11. August 2025 um 06:37 Uhr)Während alle Welt noch rätselt, wie man einen Krieg beendet, haben die italienischen Arbeiter längst eine simple, aber äußerst wirksame Lösung dieses Problems gefunden: Transportiere keine schon produzierten Waffen, verhindere ihre weitere Produktion und lass deine Söhne streiken, statt aufs Schlachtfeld zu ziehen! Ja, so einfach ist es, und ein Bürgerlicher wäre trotzdem nicht drauf gekommen.
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Leserbrief von Ludger Klus aus 19273 Groß Kühren (9. August 2025 um 18:06 Uhr)Du. Arbeiter im Hafen. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr laden – sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins: Sag Nein! Daher: Vorbehaltloses Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ins Grundgesetz! Jetzt die Petition unterschreiben! Internetseite: openpetition.de/!qnmdb Kriegsdienst? – Sagt NEIN! - Krieg ist Krieg. – Mord ist Mord. Völkermord ist Völkermord! Wir machen nicht ihre Drecksarbeit!
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