Spaß
Von Jürgen Roth
Heuer hat sich diese seltsame Ortschaft im allgemeinen deutschen Fun-Environment »definitiv« (Sportler-Language) einen der vorderen Plätze gekrallt und rücksichtslos zum bombengeraden Bespaßungszentrum gemausert. Event jagt Event, Action folgt auf Action, Fest reiht sich an Fest, man verliert langsam den Überblick, und woher man die Zeit nehmen soll, an alledem gebührend zu partizipieren, wenn man einen kleinen Roman voranzubringen versucht, verraten einem weder die Götter noch die Herren im Rathaus, die derweil befehlen, jede öffentliche Rasenfläche, auf der nach längerer Trockenheit ein paar Blumen gelbe Blüten zäglich gen Himmel strecken, sofort zu rasieren, damit der Mist wieder »ordentlich« ausschaut. Sie mögen die manche Straße zierenden Linden auch gleich umhacken lassen, im Sinne einer freien Sicht auf die Zukunft.
Ganze drei Wochen dauerte das sogenannte Stadtradeln (obschon unser Kaff gar keine Stadtrechte hat), an dem »Genussradler« und »Grundsätzlich-immer-Radler« (Amtsblatt) »im Team« und selbstverständlich im Dienste des »Klimaschutzes« teilzunehmen aufgerufen waren. Der »Sportradler« Lerd pfiff drauf und strampelte allein, unbehelligt von derartigem Gesinnungs- und organisierten Gemeinschaftsmief, zum Rothsee, an dem übrigens Seeadler nisten, solange man sie nicht aus ihren Horsten schießt, um dito in der Fauna Ruhe und Tristesse wiederherzustellen.
Kurz darauf zelebrierte das SB-Center Edeka (»Edeka« ist unter öffentlich-rechtlichen Journalisten ein negatives Schibboleth: »Ende der Karriere«) unter Aufbietung einer Lasershow seine Eröffnung vor dreißig Jahren, auf der grünen Wiese am östlichen Ortsausgang. Damit war das Schicksal der kleinen, übers Dorf verteilten Läden besiegelt gewesen, zum Beispiel des alten Besenbecks, des Konsums, des Kanzlers hinterm Bahnhof, wo ich als Bub für meinen Großvater Flaschenbier gekauft hatte. »Veränderung gleich Verschlechterung«, schreibt Joseph Heller in seinem Roman über Washington, »Gut wie Gold«.
Auf dem mehrere Quadratkilometer großen, naturgemäß praktisch vegetationsfreien Kundenparkplatz standen Bierbankgarnituren, zwecks Feier der Lebensfeindlichkeit, nehme ich an, von einem Truck des Kloßteigherstellers Henglein herab verscherbelte der angeblich »lauteste Händler Deutschlands« Gemüse und Kartoffeln und sonstwas, in Eimern, zum halben Preis. Der lauteste Marketender Deutschlands murmelte bloß in sein Mikrophon, und Lerd knurrte: »Was brauch’ ich so aan Aamer? Wer soll des fressen?«
Als nächstes stand das Floriansfest in der Haager Straße an. In der neonbeleuchteten Fahrzeughalle hingen die Feuerwehrhelme und -kutten an der Längswand, draußen beschallte die quantitativ imposante Blechblasformation der Freiwilligen Feuerwehr den ländlichen Funktionallimbus, schmissig über ungeplante Synkopen stolpernd und mit der Liebe zur dezenten Dissonanz »einen Welthit«, so der Dirigent, nach dem anderen in die Luft hinaufsirenend.
Um das kommende Multiterminhappening Sommerferienspaß zu wuppen (u. a. »Familien Kanutour SPD Ortsverband 18 Euro«, »Ball- und Bewegungswelt Tennis«, »HipHop Workshop 6 Euro«, »Wortsalat und Zauberzutat«), bräuchte ich wohl die arschblöde »Crossiety-App« (den »Digitalen Dorfplatz«) von der offenbar nicht ausgelasteten Verwaltung (und dazu ein Smartphone, ihr könnt mich kreuzweise!).
Vorerst besuchte mich die Genossin Häusler, die ich Ende der neunziger Jahre bei der Taz, als die noch eine Zeitung und keine Scheißhausparolenschleuder war, kennen- und liebengelernt hatte. Die roten Zibberli – die Zaparte ist eine kugelige Unterart der Pflaume – mussten runter von den Wildlingen.
Barbara hatte ihren Mo, Andreas den Schweizer, daheim in Nürnberg eingesperrt. Ich sollte als schnöder Ernteassistent fungieren, doch wir bildeten ad hoc ein zweiköpfiges sozialistisches Obstabbaukollektiv, fuhrwerkten alternierend mit dem Stockrüttler oder -schüttler in den Astwerken herum und klaubten danach eine halbe Tonne verschwenderisch leuchtender Früchte zusammen.
»Nur die Besten! Keine Aufgeplatzten!« instruierte mich Barbara währenddessen in kaum messbaren Abständen. Ich willfuhr ihr und erwarte im Gegenzug die hurtige Lieferung von zwei Behältnissen mit Zapata-Jam.
Bis dahin genieße ich täglich eine Messerspitze Jostamarmelade, die mir die Lore Wiesentheid, die gute Seele, neulich vorbeigebracht hat.
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