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Aus: Ausgabe vom 07.08.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Union Busting

Jeremias bricht Arbeitsrecht

Polen: Bayrisches Unternehmen geht repressiv gegen langen Streik von Beschäftigten vor
Von Alieren Renkliöz
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Der gekündigte Gewerkschafter Mariusz Piotrowski (mit Mikrofon) bei einer Streikversammlung im Juni

Gewerkschaftsfeindliche Politik, Bruch mit dem Arbeitsrecht und deutsches Überlegenheitsgebaren – das wird in Polen dem bayerischen Abgastechnikunternehmen Jeremias vorgeworfen. Der sechswöchige Streik der Beschäftigten im Werk in Gniezno war der längste der jüngeren polnischen Geschichte und schaffte es bis ins Parlament. Maciej Konieczny, Abgeordneter der Partei Razem (Gemeinsam), kritisierte im Sejm, das deutsche Unternehmen werde »von einer amerikanischen Anwaltskanzlei, die sich auf die Bekämpfung von Gewerkschaften spezialisiert hat, unterstützt«. Jeremias lache »dem polnischen Staat ins Gesicht und weigert sich, das Urteil der polnischen Gerichte umzusetzen«, zitierte ihn das lokale Nachrichtenportal Moje Gniezno.

Das fast 1.300 Mitarbeiter starke Unternehmen mit Sitz im bayerischen Wassertrüdingen soll in seinem 300 Arbeiter zählenden Werk in der polnischen Stadt Gniezno zwei Aktive der Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) entlassen haben und rief am 3. Juni einen unbefristeten Streik aus. Politiker Konieczny findet diese Entlassungen rechtswidrig. IP, die polnische Schwestergewerkschaft der Freien Arbeiterunion (FAU), wirft dem Betrieb neben Verstößen gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften auch Umweltverschmutzung und unbezahlte Überstunden vor. Jeremias gilt als der europäische Marktführer bei der Herstellung von Kaminauskleidungen, zahlte aber in Gniezno unter dem Branchendurchschnitt.

Unter den entlassenen Arbeitern war auch Mariusz Piotrowski, ein Arbeiter mit hohem Organisationstalent und eine wichtige Vertrauensperson für die Belegschaft, so erzählt es der IP-Delegierte Bartosz Kurzyca am Mittwoch im jW-Gespräch. Weil er Probleme im Betrieb thematisierte, wolle Jeremias ihn loswerden. »Gleich am ersten Tag des Streiks hat das Unternehmen Arbeiter, die sich zum Streik entschlossen haben, einzeln vorgeladen. Man hat ihnen mit Kündigungen gedroht und unseren Streik für illegal erklärt. Arbeitern, die nicht gestreikt haben, wurde ein Bonus ausgezahlt«, so Kurzyca. Jeremias beauftragte die Kanzlei Littler, den Streik anzufechten. Littler ist die weltweit größte Kanzlei für Arbeitsrecht und bekannt für gewerkschaftsfeindliche Praktiken.

Die Arbeitsministerin des Landes, Agnieszka Dziemianowicz-Bąk (Lewica), war dreimal im Werk und solidarisierte sich mit den Streikenden. »Die Beschäftigten führen seit langem einen legalen, und ich betone, einen legalen Tarifstreit. Dessen Durchführung zu behindern, ist nach polnischem Recht eine Straftat. Ein Streik ist ein verfassungsmäßiges Recht der Beschäftigten«, zitierte Moje Gniezno. Weil sich der IP zufolge 82 Prozent der Produktionsarbeiter dem Streik angeschlossen hätten, habe Jeremias für die Dauer des Streiks etwa 40 Leiharbeiter eingestellt. Büroangestellte sollen in die Produktion versetzt worden sein.

Jeremias hingegen teilte mit, sich an »geltende Verfahrensregeln des polnischen Arbeitsrechts« gehalten zu haben. »Bereits zu Jahresbeginn« seien Lohnerhöhungen umgesetzt worden. Für Wochenendarbeiten habe es Zuschläge gegeben. Die Verantwortung für die Konflikte im Werk in Gniezno sieht Jeremias bei der Gewerkschaft. Diese habe »sämtliche Kompromissvorschläge« abgelehnt. Ein Unternehmenssprecher erklärte auf jW-Anfrage, den Beschäftigten würden »schwerwiegende arbeitsrechtliche Verstöße« zur Last gelegt. Diese hätten nichts mit dem Tarifkonflikt zu tun.

Im Zuge des 41 Tage andauernden Streiks, der am 21. Juli endete, konnten die Arbeiter eine Lohnerhöhung von 700 Złoty (165 Euro) und 20 Minuten bezahlte Pausen pro Tag erzielen. Darüber hinaus müssen die Angestellten nur noch an einem Sonnabend pro Monat zur Arbeit erscheinen. An allen anderen Wochenenden soll die Arbeit freiwillig und als Überstunden anrechenbar sein. Das Management habe Teile der Produktion nach Tschechien und andere ausländische Werke verlagert, berichtete die Zeitung Wyborcza Mitte Juli. 30 Erwerbsstellen seien nun akut gefährdet. Für Gewerkschafter Kurzyca war der Arbeitskampf aber erfolgreich, man habe Probleme sichtbar gemacht, »die das ganze Land betreffen«.

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