Streik gegen »Schattenflotte«
Von Gudrun Giese
Mit einer Abschlusskundgebung soll an diesem Donnerstag ein dreitägiger Streik von Lieferando-Beschäftigten in Dortmund enden. Grund für den Ausstand, zu dem die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) aufgerufen hatte, ist die Weigerung der Lieferando-Eigentümerin Just Eat Takeaway, Tarifverhandlungen aufzunehmen.
Zu Beginn des 72stündigen Streiks gab es am Dienstag eine Demonstration, bei der Lieferando-Beschäftigte auch gegen die Unternehmensentscheidung protestierten, bis zum Jahresende 2.000 der insgesamt rund 9.000 Vollzeitstellen zu streichen und die Beschäftigten zu entlassen. An ihrer Stelle sollen schlechter bezahlte Mitarbeiter von lokalen Dienstleistern wie etwa Fleetlery bestelltes Essen zu den Kunden fahren.
Damit wolle Lieferando im Vorgriff auf die Umsetzung der EU-Plattformrichtlinie das Kuriergeschäft auf Dritte verlagern, meldete die Gewerkschaft, die das Unternehmen aufforderte, den Aufbau dieser »Schattenflotte« umgehend auszusetzen und bereits vorhandene Strukturen zurückzubauen. Lieferando plane durch die Verlagerung an Drittfirmen die Reduzierung der eigenen Flotte um rund zwanzig Prozent. Die NGG kritisiert insbesondere, dass Lieferando festangestellten Beschäftigten kündigt, die anschließend von Subunternehmen zu schlechteren Bedingungen wieder angestellt würden. Lieferando bezeichnete diese Darstellung gegenüber dem Hessischen Rundfunk als »irreführend«. Spezialisierte Logistikdienstleister seien hierzulande zulässig und in der Branche üblich.
Für einen Tarifvertrag hatten bereits Lieferando-Beschäftigte in Hamburg und Frankfurt am Main gestreikt. Nach dem dreitägigen – und damit längsten – Warnstreik in der bisherigen Unternehmensgeschichte des Lieferdienstes soll am Freitag in Hamburg demonstriert werden. Am Dienstag hatten sich zudem Beschäftigte aus Bielefeld, Osnabrück und Münster am Arbeitskampf ihrer Dortmunder Kollegen beteiligt. »Wir schreiben Geschichte, noch nie hat es bei Lieferando einen dreitägigen Streik gegeben«, rief Samir Boudih, NGG-Gewerkschaftssekretär in der Region Dortmund, den rund sechzig streikenden Beschäftigten zu.
Seit mehr als zwei Jahren verwehre Lieferando den Mitarbeitern tarifliche Bezahlung und Arbeitsbedingungen, kritisierte Boudih. »Gerade nach der hohen Inflation der letzten Jahre ist ein Tarifvertrag mehr als überfällig.« Die überwiegend migrantischen Beschäftigten stünden hinter der Forderung nach mindestens 15 Euro Grundlohn pro Stunde, tariflichen Nacht- und Kilometerzuschlägen und Beendigung der Auslagerung des Liefergeschäfts, ergänzte Carolin Abel von der NGG. Anfang des Monats seien vielen Fahrern Boni gestrichen worden, hieß es auf der Auftaktkundgebung in Dortmund. Denen fehlten nun etwa 500 Euro monatlich. Betroffen seien Fahrer, die mit Auto oder Roller unterwegs seien, erläuterte eine Kölner Lieferando-Beschäftigte, die zugleich stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ist.
Bereits in der vergangenen Woche hatte die NGG das Unternehmen zudem zu Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag aufgefordert, mit dem die 2.000 von Entlassung bedrohten Beschäftigten zumindest für eine gewisse Zeit materiell abgesichert würden. Üblicherweise verhandeln Betriebsräte über solche Vereinbarungen, die als Interessenausgleich und Sozialplan bezeichnet werden. Doch gewählte Betriebsräte existieren nur an wenigen der insgesamt 34 von Entlassungen betroffenen Lieferando-Standorte.
In Dortmund und Hamburg gibt es solche Gremien, die Sozialplanverhandlungen führen könnten. Die NGG fordere nun einen flächendeckenden Sozialtarifvertrag, um sicherzustellen, dass alle betroffenen Beschäftigten, unabhängig vom Vorhandensein eines Betriebsrates, sozial abgesichert würden. »Mit einem Sozialtarifvertrag wollen wir verhindern, dass die Beschäftigten zum Opfer dubioser Schattenflotten und Vermittler werden«, erklärte Mark Baumeister, NGG-Referatsleiter Gastgewerbe.
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