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Aus: Ausgabe vom 07.08.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Horn von Afrika

Friedensstifter als Kriegstreiber

Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea erhöhen sich. Premier Abiy Ahmed will Zugang zum Roten Meer. Golfmonarchie VAE agiert im Hintergrund
Von Ina Sembdner
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Willkommener Unterstützer: Premier Ahmed putzt seine Ehrengarde für Frankreichs Präsidenten heraus (Addis Abeba, 21.12.2024)

Die Zielrichtung ist für den äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed klar: Sein Land »mit einer wachsenden Wirtschaft und einer Bevölkerung von 120 Millionen Menschen« verdiene »einen friedlichen Zugang zum Meer«. So gab es Ahmed im Oktober 2024 vor dem Repräsentantenhaus in der Hauptstadt Addis Abeba zu Protokoll. Ein Jahr zuvor hatte er dieses Ansinnen bereits als »existentielle Frage« für sein Land ausgegeben. Die Friedlichkeit, mit der das erfolgen soll, wird jedoch zunehmend in Frage gestellt. Warnungen vor einem neuen Krieg werden insbesondere aus dem angrenzenden Eritrea laut, das bis zum historischen Friedensschluss 2018 jahrzehntelang mit Äthiopien unter verschiedenen Vorzeichen verfeindet war. Den Friedensnobelpreis für diesen Schritt erhielt selbstverständlich nicht der »Diktator« aus Asmara, Isaias Afewerki, sondern der als dynamischer Macher agierende damals noch neue Mann in Addis Abeba. Gewürdigt wurde Ahmed damit unter anderem dafür, dass er die unter UN-Ägide 2007 final festgelegte Grenzbestimmung nach einem Krieg mit rund 80.000 Toten (1998–2000) und jahrelangen Auseinandersetzungen um deren Verlauf anerkannte.

Infolge des Friedensvertrags sollte die Annäherung auch praktisch erfolgen, Pläne für eine Pipeline zwischen Addis Abeba und dem eritreischen Hafen Assab wurden geschmiedet. Als Finanzier standen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bereit, die sich auch als zentraler Vermittler in den Friedensgesprächen hervorgetan hatten und neben den USA gemeinsam mit Saudi-Arabien als Garanten des Abkommens fungieren. Schon vor dem Grenzkrieg nutzte Addis Abeba eine Ölraffinerie im Hafen von Assab, erbaut in den 1960er Jahren noch unter dem letzten äthiopischen Kaiser Haile Selassie. Allerdings wurde aus den Pipelineplänen bislang nichts. Im März mutmaßte das Portal Eritrean Press (EP) vor dem Hintergrund schärfer werdender Rhetorik aus Addis Abeba, dass die Realisierung des Projekts durch die Absicht Äthiopiens, Assab mit Gewalt zu erobern, untergraben werde.

Parallel dazu gibt es Spekulationen über eine dort von den VAE betriebene Militärbasis. Aussagen, dass Eritrea die einst von der italienischen Kolonialmacht gebaute Einrichtung für 30 Jahre an die VAE verpachtet habe, widerspricht das offizielle Asmara. Im vorgenannten EP-Bericht ist ebenfalls die Rede von einem kurzfristigen Pachtvertrag, um den Stützpunkt »gegen die Huthi-Terroristen im Jemen« einzusetzen. Dazu passen Quellen, die den Ausbau der Basis durch die VAE auf 2015 datieren – den Beginn des von Saudi-Arabien angeführten Kriegs gegen die Aufständischen im nur 70 Kilometer entfernt liegenden Jemen. Nach dem Rückzug der emiratischen Truppen 2019 zeigten von der US-Agentur AP veröffentlichte Satellitenaufnahmen über einen Rückbau der Anlagen, »dass diese Entscheidung auch für Assab zu gelten scheint«. Bestätigt wurde dies indirekt in einem im November 2021 publizierten Bericht des Portals The Cradle, der sich auf jemenitische Medien- und Agenturberichte beruft. Dort heißt es, dass die VAE mit Hilfe israelischer Experten eine Militärbasis auf der jemenitischen Insel Abd Al-Kuri errichtet hätten, die als Ersatz für den Stützpunkt Assab in Eritrea diene, den Abu Dhabi derzeit auflöse.

EP berichtete unter Verweis auf Aussagen einer Quelle aus Asmara weiter, dass die VAE die eritreische Regierung durchaus um einen langfristigen Pachtvertrag ersucht hätten, Präsident Afewerki dies jedoch abgelehnt habe. Das »frustrierte die VAE und führte leider dazu, dass sie ihre Ziele in Zusammenarbeit mit ihrem finanziell abhängigen Verbündeten in Äthiopien verfolgten«. Mit dem Ergebnis, dass Ahmed seither »plötzliche Ansprüche« Richtung Rotes Meer und Hafen von Assab erhoben habe. Dahinter stehe, so die eritreische Quelle, das Ziel der VAE, Asmaras Friedensinitiativen im Sudan zu unterminieren und seine Interessen in der Region durchzusetzen – »insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu wichtigen Seehäfen am Roten Meer«.

Während Präsident Afewerki Mitte Juli in einem Interview gegenüber lokalen Medien seine Hochachtung für den Gründer und ersten Präsidenten der VAE (1971–2004), Scheich bin Sultan Al Nahjan, äußerte, kritisierte er gleichzeitig den aktuellen politischen Kurs der Emirate. Die Idee, die Häfen vom Suezkanal bis Daressalam in Tansania zu kontrollieren, könne »nur einer verwegenen Denkweise entspringen«. Die finanziellen Mittel, die nach Addis Abeba gingen, »um Einfluss zu kaufen und verschiedene Krisen zu schüren«, seien grenzenlos, so der seit 1993 regierende Afewerki. Damals hatte sich Eritrea nach drei Jahrzehnten die Unabhängigkeit von Äthiopien erkämpft. »Auch die finanziellen Aufwendungen in Kenia, die Gelder, die zur Verschärfung des Bürgerkriegs im Sudan bereitgestellt werden, und die Situation in Dschibuti, Somaliland und Jemen sind alles andere als geheim.« Allerdings agierten die VAE »als ein Agent von anderen«, konstatierte Afewerki; das eigentliche Ziel scheine darin zu bestehen, »ein günstiges Umfeld für die israelische Kontrolle in der Region zu schaffen«. Hier verwies er auf die in Addis Abeba selbst in dieser Reihenfolge genannten Hauptunterstützer für das Ziel, einen Zugang zum Roten Meer zu erhalten: »Israel an erster Stelle, die VAE an zweiter, Frankreich an dritter und die USA an vierter Stelle.«

Hintergrund: TPLF gespalten

Zwei Jahre Krieg mit geschätzt 500.000 Toten, eine ökonomisch verwüstete Region und nun auch interne Machtkämpfe. Die nordäthiopische Region Tigray an der Grenze zu Eritrea kommt nicht zur Ruhe. Der während des bewaffneten Aufstands der bis 2018 knapp 30 Jahre lang in Äthiopien herrschenden »Volksbefreiungsfront von Tigray« (TPLF) gegen die Zentralregierung als Anheizer agierende Sprecher Getachew Reda ist mittlerweile zum Berater von Premier Abiy Ahmed avanciert. Er war auch derjenige, der im März 2022 erstmals in einem Meinungsartikel für Foreign Policy zugab, dass die TPLF den Krieg im November 2020 begonnen hatte.

Tigray sei damals »in allen Richtungen umzingelt« gewesen, seine Regionalregierung habe »über rechtzeitige Informationen über Abiys Schritte« verfügt. Den Angriff auf mehrere äthiopische Militärkasernen hätten die TPLF »als legitimen Akt der Selbstverteidigung« betrachtet, schrieb Reda. Nun also der Sprecher »eines Regimes, das wohl despotischer ist, als es die TPLF je war«, urteilte das Portal Ethiopia Insight am 9. Juni.

Derweil soll sich die »Befreiungsfront« unter Debretsion Gebremichael der eritreischen Regierung annähern. Eritrea hatte sich, nachdem Raketen aus Tigray auch in der Hauptstadt Asmara eingeschlagen waren, der Zentralregierung unter Ahmed im Krieg gegen die TPLF angeschlossen. Nun berichtete die Crisis Group, dass Gebremichael Eritrea am 1. Juni öffentlich zu dessen Unabhängigkeitstag gratuliert hätte und auch äthiopische Tigrinya zu den Feierlichkeiten die Grenze überquert hätten. Zudem sei von eritreischen und TPLF-nahen Persönlichkeiten am 22. Juni ein Treffen auf einer Brücke für Menschen beiderseits über den Mereb-Fluss organisiert worden. Er markiert die Grenze zwischen Tigray und Eritrea, wo Tigrinya mit rund 50 Prozent die größte der neun anerkannten Bevölkerungsgruppen ausmachen. (si)

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