Den Spieß umdrehen
Von Gerrit HoekmanSeit Monaten kämpfen die Werktätigen in der Dönerfleischfabrik Birtat in Murr bei Ludwigsburg mit Warnstreiks für einen gerechten Lohn und einen Haustarifvertrag – den ersten in der Branche der Dönerhersteller. Am Mittwoch standen die Bänder in dem baden-württembergischen Werk wieder still – zum elften Mal seit Mai. Die Gewerkschaftsmitglieder in der Belegschaft hatten sich laut dpa vergangene Woche in einer Urabstimmung geschlossen für eine Ausweitung der Streiks ausgesprochen.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) hat sich zu der Urabstimmung offiziell noch nicht geäußert. Sie kündigte zunächst für Donnerstag eine neue Verhandlungsrunde mit der Gegenseite an. Am Montag abend habe sich Birtat dazu bereit erklärt, hatte die Stuttgarter Zeitung tags darauf berichtet. »Dass der Arbeitgeber von seiner Blockadehaltung abgerückt ist, ist ein wichtiges Zeichen in Richtung der Beschäftigten«, war Magdalena Krüger, Geschäftsführerin der NGG im Raum Stuttgart, da noch optimistisch. Kurz darauf folgte die Ernüchterung: »Bei diesen Gesprächen soll es inhaltlich nicht um Verhandlungen über einen Tarifvertrag gehen«, widersprach Birtat am Dienstag überraschend. Es sei nur ein Austausch der unterschiedlichen Standpunkte geplant.
»Mit dieser Vorgehensweise hat der Arbeitgeber unser Vertrauen verspielt. Daraus ziehen wir jetzt die Konsequenzen«, warnte Krüger in einer Mitteilung vom Dienstag abend. Sie führt auf seiten der Gewerkschaft die Verhandlung, die im Prinzip nie eine war, weil sich Birtat von Anfang an vehement gegen einen Tarifvertrag sträubte – wie übrigens die gesamte Branche. Hinter den Kulissen versucht der Dönerspießhersteller anscheinend immer noch, die Beschäftigten von einer betrieblichen Lösung zu »überzeugen« und ihnen den Tarifvertrag auszureden.
Der Standpunkt der NGG ist klar: 375 Euro mehr Lohn, eine transparente Gehaltsstruktur im Rahmen eines Tarifvertrages mit einem Einstiegsgehalt von 3.000 Euro brutto. Bisher sei das Gehalt vom Verhandlungsgeschick der Beschäftigten und ihren persönlichen Beziehungen abhängig, so die NGG. »Ich bin erst seit ein paar Wochen angestellt, bekomme aber mehr Geld als manche Kollegen neben mir, die schon jahrelang dabei sind«, zitierte dpa einen Arbeiter der Fabrik.
»Unsere Arbeit ist echt hart«, sagte Betriebsratschef Muzayfe Doganer. Die Werktätigen stammen vor allem aus Kurdistan, Bulgarien, Rumänien und der Türkei. Sie arbeiten zum Teil am Fließband unter hohem Zeitdruck. Ein Knochenjob, der durch die niedrigen Temperaturen bei der Fleischverarbeitung noch unangenehmer wird. Wenn nicht gestreikt wird, laufen täglich bis zu 40 Tonnen Fleisch übers Band, die auf die Spieße gesteckt werden müssen. Die können bis zu 100 Kilogramm schwer sein. Für die Beschäftigten eine echte Plackerei.
Die Aussicht, dass die Produktion bei Birtat nun länger ausfallen könnte, versetzt manche Medien in Panik: »Wird Döner bald noch teurer in Deutschland?« fragt etwa die FAZ am Montag. Möglich ist das schon, immerhin beliefert Birtat einige tausend Imbissbuden in Deutschland und erreicht rund 13 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten. Bereits jetzt kostet ein Fladenbrot mit Döner durchschnittlich zwischen 7,50 und acht Euro. Bei den Werktätigen kommt von der galoppierenden Preisinflation allerdings bisher nichts an. Es wird höchste Zeit, dass sich das ändert.
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