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Aus: Ausgabe vom 05.08.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Webpolitik und digitale Technik

Geblockt und zensiert

Großbritannien: Kritik an neuem Internetgesetz. Labour-Regierung bekräftigt Schutz von Kindern. Digitalaktivisten sehen Einschränkung der Meinungsfreiheit
Von Dieter Reinisch
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Kids und Teens sind erfinderisch beim Umgehen von Zugangssperren im virtuellen Raum

Der Streit um den neuen »Online Safety Act 2023« der britischen Regierung spitzt sich zu. Es sei »ein großer Schritt vorwärts« zum Schutz von Kindern vor gefährlichen Internetinhalten, sagte der Technologieminister Peter Kyle (Labour) jüngst gegenüber dem TV-Sender Sky News. Doch Kritik kommt nicht nur von Konzernen, sondern auch aus der Opposition und aus Teilen von Labour selbst.

Im Sky-Interview kritisierte Kyle den Vorsitzenden der rechten Partei Reform, Nigel Farage, der zu den lautstärksten Gegnern des Gesetzes zählt: »Wir haben da draußen Leute, die extreme Pornographen sind, Hass und Gewalt verbreiten. Nigel Farage ist auf ihrer Seite.« Farage forderte umgehend eine öffentliche Entschuldigung.

Das Gesetz diene der Fürsorge von Kindern und Erwachsenen im virtuellen Raum, schreibt die Regierung auf ihrer Homepage: »Es erlegt Social-Media-Unternehmen und Suchdiensten eine Reihe neuer Pflichten auf und macht sie stärker für die Sicherheit ihrer Nutzer auf ihren Plattformen verantwortlich.« Das Gesetz verpflichte die Anbieter, Systeme und Prozesse zu implementieren, »um das Risiko zu verringern, dass ihre Dienste für illegale Aktivitäten genutzt werden«, heißt es weiter.

Die »stärksten Schutzmaßnahmen« würden sich an Kinder richten: »Plattformen müssen Kinder daran hindern, auf schädliche und altersunangemessene Inhalte zuzugreifen, und Eltern und Kindern klare und zugängliche Möglichkeiten bieten, Probleme online zu melden, wenn diese auftreten.«

Konkret bedeutet dies, dass die Betreiber gewisser Webseiten sicherstellen müssten, dass nur Personen über 18 Jahren Zugriff auf sie bekommen. Unternehmen wie Facebook, Youtube, Tik Tok und X kritisieren das Gesetz. X warnte in einer Stellungnahme, dass die lobenswerten Absichten des Gesetzes »durch die Breite seiner regulatorischen Reichweite in den Schatten gestellt werden könnten«.

Elternverbände fordern dagegen noch schärfere Regeln: »Wir bitten Sie nur, uns zu helfen, unsere Kinder zu schützen«, hatte Mark Kenevan, der Vater von Isaac, der im Alter von 13 Jahren starb, als er an einer sogenannten Social-Media-Challenge mit Inhalten sexualisierter Gewalt teilnahm, im April im BBC-Gespräch gesagt.

Scharfe Kritik kommt hingegen von der Electronic Frontier Foundation, einer Organisation zur Verteidigung von Meinungsfreiheit im Internet: Das Gesetz stelle eine »Bedrohung für die Privatsphäre der Nutzer dar und schränkt die freie Meinungsäußerung ein«. Die Nutzer würden einer »algorithmischen Diskriminierung durch Gesichtsprüfungen« ausgesetzt werden, und es würde »Millionen von Menschen ohne persönliches Gerät oder Ausweisdokument den Zugang zum Internet verwehren«, heißt es in einer Stellungnahme.

Einwände gegen rigide Bestimmungen im »Online Safety Act« erheben ferner Linke – etwa jene Digitalaktivisten vom Blog »Politics Joe«. Das Gesetz komme einem Verbot bestimmter Webseiten gleich.

Aber auch innerhalb der Labour Party regt sich Protest: Senior Advocacy Officer bei der NGO Big Brother Watch, Madeleine Stone, schrieb kürzlich auf dem einflussreichen Blog »Labour List«, dass die auf das Gesetz folgende Onlinezensur »von absurd bis zutiefst beunruhigend« reiche.

Während die Beschränkungen des Zugangs zu Pornoseiten für Schlagzeilen sorgen, gehe der Gesetzentwurf noch viel weiter: Er blockiere alle Inhalte, die als schädlich für Kinder gelten, darunter auch Ratschläge für Überlebende sexueller Übergriffe auf »Reddit« und Inhalte über die Kriege in Gaza und der Ukraine, so Stone. Dass Berichte aus Gaza seit einigen Tagen geblockt werden, berichtete auch die BBC.

Stone warnte zudem davor, dass Plattformen im Begriff sein könnten, jegliche Meinungsäußerung zu unterdrücken, um komplexe Verpflichtungen zu erfüllen und hohe Bußgelder zu vermeiden. Und sie fügte hinzu, Labour solle »noch einmal alles überdenken« und sicherstellen, dass alle online sicher sind, ohne »unsere grundlegendsten Rechte zu opfern«.

Laut der britischen Tageszeitung Guardian zeigten Yougov-Umfragen, dass Labour-Wähler die Altersüberprüfungen auf Webseiten noch weniger befürworten als konservative oder liberaldemokratische Wähler. Bis Redaktionsschluss hat knapp eine halbe Million Briten eine Onlinepetition unterzeichnet, die vom Parlament die Aufhebung des Gesetzes fordert.

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