Präsidentin mit Parteiauftrag
Von Kristian Stemmler
Julia Klöckner hat seit ihrem Wechsel an die Spitze des Präsidiums im Bundestag wiederholt demonstriert, wie sie die formal von ihrem Amt verlangte politische Neutralität auslegt. Dieser kann die CDU-Politikerin mit Verbundenheit zu Großkonzernen und dem Staat Israel erkennbar nichts abgewinnen. So hat sie am Montag den Beginn der parlamentarischen Sommerpause im politischen Berlin für einen neuen Vorstoß genutzt, der ganz im Interesse der Unionsparteien ist. Klöckner forderte eine erneute Reform des erst in der abgelaufenen Legislaturperiode geänderten Wahlrechts. »Ich habe die Fraktionen gebeten, sich des Themas anzunehmen. Der Arbeitsauftrag ist zudem im Koalitionsvertrag aufgenommen«, sagte die Bundestagspräsidentin gegenüber dpa.
Im März 2023 hatte die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP das Bundestagswahlrecht geändert, um das langgehegte Vorhaben umzusetzen, den Bundestag deutlich zu verkleinern. Durch das Streichen von sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten sank die Zahl von zuletzt 735 auf 630 Sitze. Obwohl sie durch ihre schiere Fraktionsstärke die Verluste noch am ehesten kompensieren konnten und Jahre zuvor aus den eigenen Reihen bereits eine Verkleinerung gefordert worden war, hatten CDU und CSU dagegen protestiert – vor allem die nur in Bayern antretende CSU ist auf Direktmandate angewiesen. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 kam es dann schließlich zu Mandatsverlusten: 23 Kandidaten zogen nicht in den Bundestag ein, obwohl sie ihre Wahlkreise gewonnen hatten. 15 davon gehörten der CDU an, drei der CSU, vier der AfD und einer der SPD.
Genau das stört Klöckner. Wen man noch dafür gewinnen solle, in einem Wahlkreis mit vielen Kandidaten anzutreten, in dem das Erststimmenergebnis niedriger sei und das Risiko, nicht ins Parlament einzuziehen, höher, fragte die Unionspolitikerin rhetorisch. Da investiere jemand »persönliche Zeit, persönliche Reputation, persönliches Geld, gewinnt sogar und kommt dann nicht in den Bundestag«, klagte sie. Auf diese Weise werde die Erststimme entwertet. Entweder müsse man sagen: »Wir wollen ein anderes Wahlrecht, keine Erst- und Zweitstimme mehr.« Oder man müsse »der Erststimme wieder zur Geltung verhelfen«.
So, wie das Wahlrecht jetzt sei, »haben wir ein Legitimierungsproblem gegenüber der Bevölkerung und ein Repräsentationsproblem«, sagte Klöckner. Deren Vorstoß sei »ein reines Ablenkungsmanöver in der Sommerpause«, urteilte dagegen Ina Latendorf, parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, am Montag gegenüber junge Welt. Mit Blick auf Entscheidungen der Bundestagspräsidentin zur Kleidungsordnung im Parlament scheine die CDU-Politikerin vor allem »die gescheiterte Verfassungsrichterinnenwahl vergessen machen zu wollen«.
Den Ergebnissen einer aktuellen Befragung durch die Plattform Yougov zufolge spricht sich eine relative Mehrheit von 47 Prozent der Befragten gegen einen erneuten Eingriff ins Wahlrecht aus. Nur 34 Prozent befürworteten eine erneute Novelle. Unter denjenigen, die am 23. Februar CDU oder CSU gewählt hatten, stimmten sogar 50 Prozent für ein Festhalten am bestehenden Wahlrecht. Die Debatte erneut auf die Agenda zu heben, sei aus Sicht der Linke-Fraktion nur dann sinnvoll, »wenn unsere vier seit langem auf dem Tisch liegenden Forderungen umgesetzt werden«, erklärte Latendorf gegenüber jW.
Diese seien: die Ausweitung des Wahlrechts für Menschen ohne deutschen Pass, eine Absenkung des Wahlalters, ein Paritätsgesetz zur Erhöhung des Frauenanteils im Parlament und die Abschaffung oder Absenkung der undemokratischen Sperrklausel für kleinere Parteien. Die alleinige Konzentration auf die Stärkung des Erststimmenrechtes reiche definitiv nicht aus. Ob die Erhöhung des Frauenanteils durch Wahlrechtsänderungen, wie im Koalitionsvertrag vermerkt, überhaupt erreicht werden könne, sei Latendorf zufolge »beim derzeitigen Zustand der CDU/CSU-Fraktion« eine spannende Frage.
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