Ohne Berührungsängste
Von Nick Brauns
Die einen sahen in ihm einen Brückenbauer in die islamische Welt. Andere verdächtigten ihn, ein Agent zu sein. Er galt als Mann der Bundesregierung, wenn er auch häufig klüger als diese war. Für viele seiner Leser war er ein zweiter Scholl-Latour. In der Nacht auf Sonntag ist der Islamwissenschaftler und langjährige Leiter des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach, nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren verstorben.
1943 in Pethau bei Zittau geboren, siedelte Steinbach mit seiner Familie 1954 nach Düsseldorf über. 1965 bis 1970 studierte er in Freiburg im Breisgau und Basel Orientalistik. 1971 bis 1974 baute er das Nahostreferat des regierungsnahen Thinktanks Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf.
Von 1976 bis 2007 war Steinbach Direktor des vom Auswärtigen Amt und des von der Hansestadt Hamburg finanzierten Deutschen Orient-Instituts (DOI). Er schied wenige Monate vor der altersbedingten Pensionierung in Unfrieden. Denn der vom Handelskapital zur Förderung deutscher Expansionsinteressen in der Region gebildete Nah- und Mittelostverein als Gründer des DOI widersetzte sich einer Fusion mit den anderen ebenfalls in Hamburg angesiedelten Überseeinstituten zum German Institute of Global and Areas Studies (GIGA). Mit Steinbachs Abgang, der Übernahme der Mitarbeiter durch das GIGA und dem Umzug des DOI samt Fachbibliothek nach Berlin verlor die einst renommierte Forschungseinrichtung rapide an Bedeutung. Zuletzt ab 2019 war Steinbach Leiter des Nah- und Mitteloststudienzentrums der Maecenata Stiftung. Er hatte mehrere Lehraufträge und ist Autor zahlreicher Bücher zur arabischen Welt und zur Türkei.
Als der Krieg in Kurdistan Mitte der 90er Jahre eskalierte und es auch in Deutschland zu Straßenschlachten der Polizei mit militanten Kurden kam, plädierte Steinbach für ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Ankara und den Dialog mit dem Umfeld der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. 1994 besuchte er den damals von Boulevardzeitungen als »Oberterrorist« diffamierten Abdullah Öcalan in Damaskus. Eine dazu mit dem Regierungsberater geplante Veranstaltung an der Universität München wurde auf Druck der Polizei wegen »Terrorpropaganda« verboten.
Die Türkei, wo er in nationalistischen Gazetten regelmäßig und wohl nicht ganz grundlos als BND-Agent »entlarvt« wurde, konnte Steinbach nicht mehr besuchen. »Ich selbst fahre nicht dahin, weil ich fürchte, verhaftet zu werden«, bekannte er 2018 gegenüber dem Deutschlandfunk, »ich gelte als jemand, der den zweifachen Terror unterstützt, sowohl der PKK als auch der Gülenisten.« Tatsächlich pflegte Steinbach eine große Nähe zu der von der Bundesregierung umschmeichelten Sekte, die hinter dem Putschversuch von 2016 in der Türkei steckte. Deren Guru Fethullah Gülen verharmloste er als »modernen Derwisch«.
Im syrischen Bürgerkrieg ab 2012 wandelte sich Steinbach zum bellizistischen Falken, der sich für die »militärische Option« zum Regime-Change aussprach. Wenn er als Oberst der Reserve etwas zu entscheiden hätte, würde er sofort die Luftwaffe nach Damaskus schicken, tönte er auf einem Podium mit syrischen Muslimbrüdern in der Berliner Humboldt-Universität. »Syrien wird kein islamistisches Land«, zeigte sich Steinbach Ende Dezember 2024 nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Assad durch die Dschihadistenkoalition HTS gegenüber der Tiroler Tageszeitung von deren guten Absichten überzeugt – drei Monate später schlachteten die neuen Herrscher Tausende Alawiten ab.
Bei seinem wohl letzten öffentlichen Auftritt auf einem unter dem Titel »Faustrecht statt Völkerrecht: Welt im Krieg?« stehenden Podium des österreichischen Senders Servus TV am 26. Juni 2025 bezeichnete Steinbach Waffenlieferungen an Israel als »riesigen Skandal«. »Jetzt ist die Chance in Verhandlungen einzutreten«, forderte Steinbach, der noch kurz vor dem israelischen Angriffskrieg vier Wochen lang im Iran war, den Dialog mit Teheran. Der Professor »war eine Brücke zwischen den Kulturen und strebte stets den interkulturellen Dialog an«, kondolierte der iranische Botschafter in Berlin Majid Nili Ahmadabadi am Sonntag als einer der ersten auf X »mit großer Trauer«.
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