Zwischen Angst und Machterhalt
Von Wiebke Diehl
Im Nordosten Syriens droht die Situation zu eskalieren. Am Wochenende beschuldigte das Verteidigungsministerium der demokratisch nicht legitimierten Regierung die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einen Raketenangriff auf eine Militärstellung nahe Manbidsch durchgeführt zu haben. Bei diesem seien vier Armeeangehörige und drei Zivilisten verletzt worden. Dementgegen erklärten die kurdisch dominierten SDF, die seit 2015 eng mit US-amerikanischen Besatzungssoldaten kooperieren, sie hätten auf »einen unprovozierten Artillerieangriff auf zivil besiedelte Gebiete mit mehr als zehn Granaten« reagiert, der von in den Reihen der syrischen Regierung operierenden Fraktionen durchgeführt worden sei.
Die gewaltsamen Zusammenstöße folgen auf eine Krise in den Verhandlungen über die Integration der SDF in die Armee. Im März war ein entsprechendes Abkommen geschlossen worden – allerdings bestanden von Anfang an Meinungsverschiedenheiten. Die SDF beharrten darauf, innerhalb des Militärs als eigenständiger Block mit intakten Einheiten und ihren jeweiligen Kommandeuren bestehen zu bleiben, anstatt sich vollständig aufzulösen. Massaker, die in den vergangenen Monaten von aus islamistischen Milizen bestehenden »Sicherheitskräften« an Alawiten, Christen und Drusen verübt wurden und viele tausend Todesopfer forderten, haben auch die Sorgen der Kurden verstärkt. Diese waren in der Vergangenheit ebenfalls zum Ziel islamistischer Verfolgung geworden. Die »Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien« (DAANES) fordert zudem ein föderales System, das die kurdische Kontrolle über den Nordosten, einschließlich der Ölfelder und Weizenanbaugebiete, ermöglichen würde.
Ende Juli haben die USA den Druck auf ihren langjährigen Verbündeten erhöht. Der US-Sondergesandte Tom Barrack forderte die SDF auf, sich aus den Städten Rakka, Deir Al-Sor, Hasaka und Tabka zurückzuziehen und ihre Waffen sowie die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen Syriens und die Grenzübergänge an Damaskus zu übergeben. Die Waffen niederzulegen stehe »nicht zur Diskussion«, erwiderte darauf der SDF-Vertreter Sihanuk Dibo. Eine politische Lösung, die »die verfassungsgemäßen Rechte der Völker garantiert und die politische Partizipation gewährleistet«, sei »mit der derzeitigen syrischen Regierung nicht erreichbar«.
Die syrischen Kurden haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur Freunde gemacht. Anfang Juli warfen arabische Stammesführer in Deir Al-Sor, Rakka und Al-Hasaka den SDF Diskriminierung, Unterdrückung und die Abschöpfung der natürlichen Ressourcen der Region vor. Die Rede war auch von einer »erzwungenen Koexistenz«. Seit Jahren stehlen US-amerikanische Besatzungssoldaten in Kooperation mit oder zumindest unter den Augen der SDF syrisches Erdöl und syrischen Weizen. Nachdem die arabischen Stämme in Nordostsyrien zwischen 2015 und 2017 Seite an Seite mit den kurdischen Kämpfern gegen den »Islamischen Staat« (IS) gekämpft hatten, wuchs schnell der Unmut. Seit 2018 kommt es immer wieder zu – teils auch gewaltsam ausgetragenen – Konflikten. Diese entbrannten unter anderem wegen der Einführung neuer Lehrpläne sowie einer Wehrpflicht durch die DAANES. Die Rede ist außerdem von Zwangsrekrutierungen junger Männer und Minderjähriger sowie der Verweigerung eines Rückkehrrechts für vom IS vertriebene arabische Familien. Im Juni 2025 starben zudem zwei arabische Kinder durch Waffen von SDF-Kämpfern.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Ammar Awad/REUTERS31.01.2025
Dschihadist im Präsidentenpalast
- Omar Sanadiki/REUTERS23.01.2025
Ein Land für alle?
- Mahmoud Hassano/REUTERS02.12.2024
Aleppo vorerst gefallen
Regio:
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Minderheiten im Brennpunkt
vom 05.08.2025