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Aus: Ausgabe vom 04.08.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Forschungen zur Arbeiterbewegung

Hausfriedensbruch und Hochverrat

Neues über Karl Liebknecht als Rechtsanwalt: Zwei weitere Teilbände der »Gesammelten Prozesse« sind erschienen
Von Volker Külow
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Rechtsanwalt und Revolutionär: Karl Liebknecht

Der Leipziger Historiker Matthias John hat sich in Zusammenarbeit mit dem Trafo-Verlag ein ehrgeiziges und sehr umfangreiches Projekt vorgenommen: eine mehrbändige Edition von Dokumenten zu den von Karl Liebknecht als Rechtsanwalt geführten Prozessen mit einem Fokus auf die zeitgenössische Presseberichterstattung. Das ist sehr zu begrüßen, denn seriöse Spezialstudien zu Liebknechts beruflichem Wirken als Anwalt sind nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Die Herausgabe der »Gesammelten Prozesse« soll dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Es ist ein glücklicher Umstand, dass die sozialdemokratische und zuweilen auch die bürgerliche Presse seinen Auftritten als Anwalt besondere Aufmerksamkeit widmete. Und das nicht nur wegen seines berühmten Familiennamens, sondern vor allem wegen seiner herausragenden anwaltlichen Fähigkeiten. Liebknecht galt, wie Wilhelm Dittmann in seinen Erinnerungen schrieb, als »neuer Stern am juristischen Himmel«.

Von Matthias John erfahren wir, dass Liebknecht – der mit seinem Bruder Theodor eine gemeinsame Kanzlei betrieb – zwischen 1900 und 1916 an mindestens 218 Prozessen als Klagevertreter, Verteidiger, Angeklagter, Sachverständiger oder Zeuge beteiligt war. Folgt man John, war Liebknecht eher ein politischer als ein Armenanwalt, wenngleich zu seinen bisher ermittelten Mandantinnen und Mandanten auch zwei Dienstmädchen, eine Heimarbeiterin, mehrere Hausfrauen, Wirtinnen und sogar ein Bettler, der wegen angeblichen Betrugs angeklagt worden war, zählten. Im Jahre 1904 verteidigte er darüber hinaus zwei minderjährige Schülerinnen wegen angeblicher räuberischer Erpressung von fünf Pfennigen.

Er übernahm aber auch – zumeist aus finanziellen Gründen – Mandate in Fällen betreffend Diebstahl, Beleidigung, Hausfriedensbruch, ruhestörenden Lärm, Unterschlagung, Urkundenfälschung, fahrlässigen Umgang mit Schusswaffen, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Körperverletzung, Meineid oder Kindesentziehung. Allein diese Aufzählung offenbart eine außerordentlich breite juristische Fachkompetenz; Liebknecht vermochte immer wieder die jeweilige Anklage zu Fall zu bringen. Neben Kurt Rosenfeld, Wolfgang Heine, Hugo Heinemann und Hugo Haase war Karl Liebknecht wohl der herausragendste Anwalt in der deutschen Sozialdemokratie.

2022 erschien der erste Band der Edition, der die Jahre 1900 bis 1904 umfasst. Im Mittelpunkt steht Liebknechts erster großer politischer Prozess, jener um die sogenannte Kaiserinsel. Es ging dabei um den mutmaßlichen Plan von Wilhelm II., auf der Havelinsel Pichelswerder ein Schloss zu errichten, in dem er auch im Falle politischer Unruhen in Berlin in Sicherheit gewesen wäre.

In der Folgezeit erschienen die beiden ersten von insgesamt vier Teilbänden des zweiten Bandes, der sich dem aufsehenerregendsten Fall Liebknechts, dem Königsberger Hochverrats- und Geheimprozess 1904, widmet. In diesem Prozess, dem auch in der bürgerlichen Presse sehr große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, hatte Karl Liebknecht, der schon zuvor russische revolutionäre Emigranten verteidigt hatte und daher mit der Materie sehr vertraut war, gemeinsam mit seinen Anwaltskollegen Hugo Haase und Hugo Heinemann die Verteidigung übernommen. Im Prozessverlauf deckten sie auf, wie eng die deutschen mit den russischen Polizei- und Justizbehörden zusammenarbeiteten, um die junge russische Sozialdemokratie zu bekämpfen. Im Mittelpunkt des Prozesses stand der mehr oder minder umfangreiche Schmuggel revolutionärer (in Deutschland aber zumeist legaler) Literatur in russischer Sprache – insbesondere der Vertrieb der seinerzeit in München gedruckten Iskra – von Deutschland nach Russland.

Mit den beiden jetzt veröffentlichten Teilbänden 3 und 4 liegen nunmehr alle Materialien des Königsberger Geheimbund- und Hochverratsprozesses einschließlich des Urteils vollständig gedruckt vor. Insbesondere der Mangel älterer Editionen, in denen auf eine wissenschaftliche Kommentierung verzichtet wurde, ist mit der vorliegenden Ausgabe behoben. Der letzte Teilband präsentiert außerdem die im »Vorwärts« veröffentlichten bürgerlichen Pressestimmen zum Königsberger Prozess wie auch die Berichte der bürgerlichen Zeitungen über eine Versammlung in Berlin, bei der Karl Liebknecht über den Prozessverlauf sprach. Besondere Beachtung verdient die Rezension von Liebknecht, in der er die von Kurt Eisner 1904 herausgegebenen Prozessprotokolle bespricht. Dieser Text wird hier nach über 120 Jahren erstmals wieder veröffentlicht. Wie in allen vorangegangenen Bänden wurden Biogramme aller in den Texten erwähnten Personen und abermals zahlreiche zeitgenössische Illustrationen beigefügt, die hier ebenfalls erstmals wieder publiziert werden.

Matthias John (Hrsg.): Gesammelte Prozesse des Karl Liebknecht (1900–1914) (Band II, Teil 3). Karl Liebknechts aufsehenerregendster Fall: der Königsberger Hochverrats- und Geheimbundprozess im Jahre 1904 in der Presseberichterstattung. Trafo, Berlin 2025, 170 Seiten, 36,80 Euro

Matthias John: Gesammelte Prozesse des Karl Liebknecht (1900–1914) (Band II, Teil 4). Karl Liebknechts aufsehenerregendster Fall: der Königsberger Hochverrats- und Geheimbundprozess im Jahre 1904 in der Presseberichterstattung. Urteil und Nachhall. Trafo, Berlin 2025, 170 Seiten, 24,80 Euro

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (4. August 2025 um 10:04 Uhr)
    Karl Liebknecht kämpfte vor allem mit revolutionärer Leidenschaft gegen die Klassenjustiz seiner Zeit. Dies sowohl als Jurist und Strafverteidiger wie auch als Abgeordneter. Vor allem vor Gericht nutzte er die sich ihm bietenden Gelegenheiten, um den bürgerlichen Rechtsstaat zu entlarven und bediente sich dabei zugleich der ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten. Sein Vermächtnis ist in den heutigen Juristenkreisen leider viel zu wenig bekannt und auch nicht Gegenstand der universitären Ausbildung. Vorbilder wie er sind scheinbar nicht erwünscht, Nachahmer schon gar nicht. Ralph Dobrawa, Gotha

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