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Aus: Ausgabe vom 04.08.2025, Seite 6 / Ausland
Koreanische Halbinsel

Tischtuch zerschnitten

Südkorea: Neuer Präsident will Wogen mit Norden glätten. Pjöngjang sieht keine Grundlage
Von Martin Weiser, Seoul
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Gelobt Besserung, aber womöglich zu spät: Südkoreas Präsident Lee Jae Myung am 3. Juli in Seoul

Gerade einmal 60 Tage im Amt, versucht der südkoreanische Präsident Lee Jae Myung mit allerlei Maßnahmen, das Verhältnis mit der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) zu kitten. Lautsprecher mit Propaganda und Popmusik an der Grenze werden abgebaut. Gegen den Norden gerichtete Radioprogramme von Geheimdienst und Militär werden zum ersten Mal seit ihrem Sendestart in den Siebzigern eingestellt. Man denkt sogar laut darüber nach, die Zensur nord­koreanischer Comics und Filme aufzuheben, Staatsoberhaupt Kim Jong Un zum Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) im November nach Südkorea einzuladen und die regelmäßigen Militärmanöver mit den USA auszusetzen oder zumindest zu verkleinern.

Aber all das reicht natürlich nicht, um die drei Jahre Zerstörung der Beziehungen unter Lees Vorgänger Yoon Suk Yeol auch nur ansatzweise rückgängig zu machen. Die Vizedirektorin der Informationsabteilung des ZK der Arbeiterpartei, Kim Yo Jong, erinnnerte die Südkoreaner daran vor einer Woche mit einer öffentlichen Stellungnahme auch noch einmal. Bereits im Titel konstatierte sie: »Die Beziehungen zwischen Nordkorea und Südkorea haben das Konzept der homogenen Nation vollständig hinter sich gelassen.« Unabhängig davon, »welche Politik in Seoul verfolgt und welche Vorschläge dort gemacht werden«, habe Pjöngjang daran kein Interesse und sehe »weder einen Grund für ein Treffen« noch gebe es ein Thema, »das mit der Republik Korea zu besprechen wäre«. Das Rad der Geschichte, »das den Charakter der Beziehungen zwischen der DVRK und der Republik Korea radikal verändert hat«, könne nicht zurückgedreht werden.

Der Bedeutung dieser neuen Linie, die von der Arbeiterpartei bereits Ende 2023 beschlossen wurde, ist man sich im Süden anscheinend aber immer noch nicht bewusst. Das beginnt bei dem Fakt, dass in Nord und Süd unterschiedliche Wörter für die eigene Nation benutzt werden, man sich im Süden aber immer noch wenig darum schert. Dort bezieht man sich mit Han auf ein sehr kurzlebiges Kaiserreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, während im Norden mit Choson an eine jahrhundertealte Identität angeknüpft wird. Kim Yo Jong sprach auch dieses Mal explizit von den Beziehungen zwischen Choson und Han, wohingegen selbst unter Lee Jae Myung die Bezeichnung »Nord-Süd-Beziehungen« das höchste der Gefühle ist. Der in Südkorea kursierende Vorschlag, das Ministerium für Wiedervereinigung doch einfach in »Ministerium für Frieden auf der Han-Halbinsel« umzubenennen, wirkt da geradezu absichtlich unsensibel.

Gerne wird im Süden die eigene Verfassung als Ausrede vorgeschoben. Dort stehe ja seit 1948, dass die ganze Halbinsel Südkorea gehöre, und seit 1987 sei zusätzlich auch die Wiedervereinigung als Staatsziel festgeschrieben. Dementsprechend könne man die DVRK gar nicht als Staat anerkennen oder aufhören, von Wiedervereinigung zu sprechen. Allerdings wurde die erste Phrase unter Südkoreas erstem Diktator Rhee Syngman in die Verfassung geschrieben, der dem Land auch das seit langem als verfassungsfeindlich angeprangerte Nationale Sicherheitsgesetz bescherte. Etwas Flexibilität oder kritischere Auslegung wären also angebracht. Unter dem auch als »Schlächter von Kwangju« bekannten Diktator Chun Doo Hwan kam dann noch die Festschreibung der wohlgemerkt friedlichen Wiedervereinigung als Staatsziel hinzu. Südkorea war dem Norden seither jedoch nicht wirklich friedlich gesinnt.

Trotz alledem hat die Linke bisher keine ernsthaften Versuche unternommen, die Verfassung in einem Sinne umzudeuten, der auch einen Umgang mit der Realität auf der Halbinsel erlaubt. Die jahrzehntelange Verfolgung jener, die sich für eine Annäherung mit dem Norden aussprechen, hilft, diese gedankliche Lücke zu erklären. Aber selbst die liberaleren Präsidenten wollten ihr politisches Kapital lieber für innenpolitische Reformen einsetzen, als es für einen Neuanfang mit der DVRK aufs Spiel zu setzen. Daran wird sich wohl auch unter Lee Jae Myung nichts ändern. Die anstehende erste Verfassungsänderung seit Südkoreas Demokratisierung wird an diesen zwei Artikeln höchstwahrscheinlich nicht rütteln. Denn in Südkorea gibt es kaum ein einfacheres Mittel, den Rechten Zulauf zu verschaffen, als die DVRK als das anzuerkennen, was sie ist.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. August 2025 um 10:57 Uhr)
    Ich will die Analyse nicht grundsätzlich anzweifeln, doch ein zentraler Aspekt fehlt: die demographische Realität, die für die Zukunft der koreanischen Halbinsel entscheidend ist. Südkorea verzeichnet mit einer Geburtenrate von nur 0,72 Kindern pro Frau (2024) weltweit den Tiefstwert – weit unter der zur Bestandserhaltung nötigen Rate von 2,1. Die Bevölkerung schrumpft seit 2021. Laut Prognosen wird sie bis 2070 von 51 auf unter 38 Millionen Menschen sinken. Besonders drastisch ist der Rückgang bei jungen Menschen: Nur noch 13,5 % der Südkoreaner sind unter 15. Im Gegensatz dazu hält Nordkorea laut UN-Schätzungen eine Geburtenrate von rund 2,1 Kindern pro Frau – an der Bestandserhaltungsgrenze. Auch wenn das Land wirtschaftlich isoliert ist, bleibt die Altersstruktur vergleichsweise jung: Etwa 25 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt. Was bedeutet das für die innerkoreanischen Beziehungen? Eine Gesellschaft, die sich biologisch nicht mehr selbst erhält, verliert langfristig auch politisch und wirtschaftlich an Gestaltungskraft – unabhängig von Ideologie oder Verfassungsform. Wer also von »Wiedervereinigung« oder »Anerkennung« redet, sollte sich bewusst machen: Zukunft entsteht dort, wo Kinder geboren und erzogen werden. Der Süden steht vor einem demographischen Abgrund – der Norden (noch) nicht. Die Fixierung auf politische Symbolik verkennt diesen fundamentalen Wandel. Wenn die Realität auf der Halbinsel verstanden werden soll, muss auch die Demographie als strategischer Faktor ernst genommen werden. Alles andere bleibt politische Folklore – ohne Zukunftsperspektive.
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (5. August 2025 um 15:22 Uhr)
      Thomas Robert Malthus lässt grüßen! Wenn dem notwendigerweise so wäre, dürfte das winzige Luxemburg innerhalb der bevölkerungsreichen EU nicht die geringste politische Rolle spielen. Das genaue Gegenteil ist aber seit Jahrzehnten bereits der Fall; nicht zuletzt dank seiner staatlich organisierten kriminellen Wirtschafts- und Finanzpolitik.
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. August 2025 um 11:45 Uhr)
        Lieber Herr Hopp, Ihr Hinweis auf Luxemburg greift in diesem Zusammenhang zu kurz. Die politische Bedeutung Luxemburgs innerhalb der EU beruht nicht auf seiner Bevölkerungsgröße, sondern auf besonderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – insbesondere als Finanzplatz mit gezielter Zuwanderung, vor allem hochqualifizierter Arbeitskräfte und vermögender Steuerflüchtlinge. Südkorea hingegen ist nicht nur stark migrationsarm, sondern weist eine gesellschaftlich tief verankerte Abwehrhaltung gegenüber Einwanderung auf – vergleichbar höchstens mit Japan. Die dort vorherrschende ethnisch-kulturelle Homogenitätsvorstellung macht eine kompensierende Zuwanderung äußerst schwierig. Vor diesem Hintergrund ist die demographische Entwicklung in Südkorea – mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate – nicht nur ein soziales, sondern ein strukturell existenzielles Problem. Ein Vergleich mit einem multikulturellen Kleinstaat wie Luxemburg ist daher nicht sachgerecht – die Voraussetzungen und Realitäten beider Länder sind schlicht nicht vergleichbar.

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