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Aus: Ausgabe vom 01.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Rückzug mit Hintertüren

Neues Antikorruptionsgesetz in Kiew
Von Reinhard Lauterbach
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Demonstration für das neue Antikorruptionsgesetz am 30. Juli in Lwiw

Das ukrainische Parlament hat am Donnerstag mit breiter Mehrheit einem von Präsident Wolodimir Selenskij eingebrachten Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden NABU und SAP zugestimmt. Für den Entwurf stimmten alle 331 im Saal anwesenden Abgeordneten; 119 Parlamentarier nahmen an der Abstimmung nicht teil.

Damit hat Selenskij formal eine Bedingung der westeuropäischen Geldgeber erfüllt. Wie Anfang dieser Woche die FAZ berichtet hatte, hat die EU-Kommission der Ukraine gedroht, die Zahlungen aus der »Ukraine-Fazilität« zugunsten des Kiewer Staatshaushaltes mit sofortiger Wirkung einzustellen, wenn die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden nicht wiederhergestellt werde. Es war angesichts der chronischen Geldknappheit der Ukraine somit ein weniger freiwilliger, als von den Umständen erzwungener Rückzieher der Präsidialadministration. Wobei die »Ukraine-Fazilität« nur einer von mehreren Brüsseler Töpfen ist, aus denen Geld an die Ukraine fließt. Sanktionen hätten ohnehin anders ausgesehen.

Faktisch ist der Sieg der Rechtsstaatlichkeit nicht ganz so glänzend, wie es auf den ersten Blick aussehen könnte. Denn erstens sollen die Mitarbeiter der Antikorruptionsbehörde durch den Selenskij unterstehenden Geheimdienst SBU auf dem Lügendetektor darüber verhört werden, ob sie im Dienste Russlands stehen. Zweitens sollen solche Verhöre mindestens alle zwei Jahre nach einer »vom SBU empfohlenen Methode« wiederholt werden. Das verheißt wenig Gutes. Der SBU ist für seine rüden Vernehmungsmethoden bekannt, und Selenskij behält damit eine Handhabe, um auf die Antikorruptionsermittler Druck auszuüben.

Zweitens und noch wichtiger: Das bisher von den Ermittlern zusammengetragene Material über Korruption im engsten Umfeld Selenskijs ist durch seine zeitweilige Beschlagnahme durch den SBU für die weitere gerichtliche Verwertung nicht mehr verwendbar. Denn es gilt jetzt als »durch äußere Einwirkung beeinträchtigt«. Mit anderen Worten: Selbst eine an sich rechtswidrige Durchsuchung kann dazu führen, das zu Unrecht beschlagnahmte Material zu entwerten.

Selenskij hat den Kopf zunächst einmal aus der Schlinge gezogen. Die Frage ist, für wie lange. Das Abstimmungsergebnis entsprach der objektiven Lage der Ukraine, die ohne fortwährende finanzielle Zuwendungen aus dem Westen weder den Krieg noch ihre Existenz als politisches Projekt aufrechterhalten kann. Das stiftete eine überparteiliche Eintracht im Kiewer Parlament. Die Frage ist, ob sich die Brüsseler EU-Bürokratie diese Winkelzüge gefallen lässt. Man darf skeptisch sein: So waschlappig, wie sich Ursula von der Leyen gegenüber Washington aufgeführt hat, ist es auch für sie eine Frage des politischen Überlebens, wenigstens »fest an der Seite der Ukraine zu stehen«.

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