Steuerparadiesvogel des Tages: Gregor von Bismarck
Von Arnold Schölzel
Reichsbürger landen vorm Kadi, Reichsadlige ziehen Steuern ein. Zumindest bislang einer: Gregor von Bismarck, Ururenkel des Reichskanzlers Otto von B. (1815–1898). Am Mittwoch teilte aber das Innenministerium Schleswig-Holsteins mit, es habe »dem Landtag einen Vorschlag für eine landesgesetzliche Regelung zur Eingemeindung des gemeindefreien Gebietes Sachsenwald zum 1. Januar 2026 übermittelt«. Dahinter verbirgt sich: Die bürgerliche Revolution in Deutschland könnte einen Millimeter weiterkommen und ein Gutsherrenprivileg beseitigen. Denn »gemeindefrei« bedeutet: Gregor von B. durfte in der familieneigenen Holzplantage bei Hamburg Gewerbesteuern erheben. Die waren halb so hoch wie in der Hansestadt und lockten mehr als 20 Firmen an, die in einer Waldhütte Briefkästen anbrachten und die Bretterbude zum Bürogebäude erklärten. Das blieb etwa ein Jahrzehnt unentdeckt, bis die Plattform fragdenstaat.de zusammen mit dem ZDF-»Magazin Royale« 2024 neugierig wurde, eine Wildtierkamera vor dem Schuppen anbrachte und viele Viecher, aber nur wenige Menschen ausmachte. Antwort auf Fragen: Die gemeindefrei eingenommenen Steuern dienen der »Nachhaltigkeit«. Auch jargonmäßig also alles korrekt.
Der Bericht über das Paradies rührte aber irgendwas im Kieler Landtag an, so dass die »Formulierungshilfe« vom Mittwoch zustande kam. »Gemeindefrei« war der Sachsenwald übrigens seit 1892, das Privileg überstand 133 Jahre unbeschadet. Was heißt: Der Otto von B. zugeschriebene Spruch, »Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Mecklenburg, dort geschieht alles 50 oder 100 Jahre später«, war ein Ablenkungsmanöver. Der eiserne Otto meinte in Wirklichkeit Schleswig-Holstein. Entschieden ist im übrigen nichts: Die Gemeinden, die den Sachsenwald eingemeinden sollen, fürchten die Kosten. Wegen zu geringer Steuereinnahmen.
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