Ludwig, Jobst
Von Jegor Jublimov
Nicht gern gehört haben mag Rolf Ludwig, dass er einst gern als der »Harald Juhnke der DDR« bezeichnet wurde. War nicht Juhnke »der Rolf Ludwig des Westens«? Beide vereinte eine ausgefeilte Schauspielkunst, große Musikalität, ihr außergewöhnliches Können sowohl auf ernstem wie auf heiterem Gebiet und – die Freude am Alkohol. Juhnke soll verärgert gewesen sein, als Ludwigs Erinnerungen unter dem Titel »Nüchtern betrachtet« erschienen. Das wäre Juhnkes Titel gewesen!
Von Rolf Ludwig, der am Montag vor 100 Jahren in Stockholm geboren wurde, weil seine Eltern dort im Auftrag der KPD tätig waren, und der 1999 starb, gibt es unzählige rauschgetränkte Anekdoten. So berichtete die 2023 verstorbene Kollegin Evamaria Bath, wie er die Familie einmal früh um fünf aus dem Bett klingelte, ihr Mann Hubert Hoelzke ihm einen starken Kaffee bereitete und ihm assistierte, als Rolf »Flieger« spielen wollte. Die ebenfalls erwachte kleine Tochter staunte über die Albernheiten Erwachsener!
Für Kinder hat Ludwig gern und oft gespielt, begonnen mit dem Märchenklassiker »Das Feuerzeug« (1959) über »Wer reißt denn gleich vorm Teufel aus« (1977) bis zu »Moritz in der Litfaßsäule« (1983). Ab 1950 stand er in Berlin (Volksbühne, Deutsches Theater) auf der Bühne, machte als Truffaldino in »Diener zweier Herren«, in der Titelrolle des Schwarz-Märchens »Der Drache« und als Meister in »Meister und Margarita« Epoche. Gustaf Gründgens wollte ihn nach Hamburg holen, aber Ludwig scheute auch aus politischen Gründen den Wechsel. Die Kriegserlebnisse und nicht zuletzt die Lektüre der Werke des Kriegsgegners Wolfgang Borchert hatten ihn zu einem vehementen Pazifisten gemacht. Mit dieser Haltung sah er sich in der DDR besser aufgehoben.
Unter seinen mehr als 100 Kino- und Fernsehrollen beeindruckte er besonders in den Filmen von Egon Günther: »Abschied« (1968), »Der Dritte« (1972), »Lotte in Weimar« (1974/75) und »Stein« (1991). Da hielt er wie kein anderer die schmale Grenze zwischen Komödiantentum und Ernsthaftigkeit zum Vergnügen aller ein.
Bevor Egon Günther Regisseur wurde, schrieb er u. a. 1959 den Gegenwartsfilm »Der Fremde«, gemeinsam mit Herbert Jobst. Jobst war es wohl zu verdanken, dass ein bisschen Wirklichkeit in den allzu plakativen Stoff geriet. An seinen 110. Geburtstag am 30. Juli wird erinnert an einen außergewöhnlichen DDR-Autor, der, bis er Anfang 30 war, in ungewissen Verhältnissen lebte. Von seiner Mutter mit neun Monaten ausgesetzt, wuchs er im Waisenhaus auf und kommentierte das später: »Meine Wiege war eine Anlagenbank, mein Taufpate das Wohlfahrtsamt.« Er wurde Buchdrucker, Mitglied der Roten Falken, Schiffsjunge, ging auf Wanderschaft, vagabundierte durch Italien und Österreich, weil er dem Arbeitsdienst der Nazis entgehen wollte, und wurde ausgewiesen. Er kam ins Militärgefängnis Torgau, wurde zur »Frontbewährung« abkommandiert, musste schließlich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien arbeiten. Ab 1947 konnte er als Wismut-Kumpel arbeiten und wurde mehrfacher Aktivist.
Seine Erlebnisse waren die Grundlage für das autobiographische Hauptwerk, die Tetralogie »Der dramatische Lebensweg des Adam Probst«, erschienen von 1957 bis 1973. Der mit satirischen Spitzen versehene Bestseller brachte ihm viele Preise ein und kam schon 1966 als Vierteiler ins Fernsehen. Schade, dass er nur noch antiquarisch erhältlich ist.
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