Das Glück von der Bank
Von Gabriele Damtew
Die 19jährige Michelle Agyemang konnte es nicht so recht fassen, selbst im Fokus zu stehen. Einst hatte sie als Ballmädchen im berühmten Wembley-Stadion den Männern der englischen »Nationalmannschaft« die runden Dinger zugeworfen. Nach dem Finale zwischen England und Spanien in Basel wurde sie zu Recht als beste Nachwuchsspielerin geehrt.
Eigentlich war die Arsenal-Spielerin nur Jokerin. Kam von der Bank für England in diesem europäischen Fußballturnier der besten Frauenmannschaften. Als Geheimwaffe von Lionesses-Coach Sarina Wiegman nie früher als 20 oder auch mal ganz krass fünf Minuten vor Abpfiff eingewechselt. Aber mit entscheidender Wirkung auf dem Platz. Im Viertelfinale hatte sie den Ausgleichstreffer gegen Schweden zum 2:2 besorgt, was für die Engländerinnen Verlängerung und Weiterkommen im Elfmeterschießen bedeutete. Eingewechselt im Halbfinale gegen erstaunlich starke Italienerinnen, brauchte es wieder Michelle (Fußballerinnen nennen sich gern beim Vornamen), die in der Nachspielzeit den Ausgleich zum 1:1 erzielte, den Jokerkollegin Chloe Kelly in der Verlängerung zum 2:1 veredelte.
Vergangenen Sonntag im Final, wie die Schwyzer sagen, zwischen den englischen Europameisterinnen 2022 und den favorisierten Weltmeisterinnen von 2023 aus Spanien, kam nach deren früher Führung zuerst Chloe ins Spiel, die die angeschlagene Lauren James gut ersetzte. Michelle erst nach der 70. Minute. Nicht mehr als Offensivkraft gebraucht, verteidigte sie im eigenen Strafraum mit vollem Körpereinsatz gegen die spielstarken Ibererinnen.
Erneut haben die englischen Fußballerinnen bewiesen, bessere Nerven als ihre hochbezahlten männlichen Pendants zu haben, die schon vor Jahren »den Fußball nach Hause« holen wollten. Nach Verlängerung und Elfmeterschießen, letzteres eines der größten Traumata der männlichen »Löwen«, verteidigten die Lionesses ihren 2022 erkämpften Titel als Europameisterinnen. Zur Erinnerung: Damals gegen die deutschen Frauen. Diesmal traf es die Spanierinnen. Die herausragende Torhüterin Hannah Hampton parierte zwei Elfer. Mit einem Schuss mit 110 Kilometern pro Stunde schoss Chloe Kelly das englische Frauenteam vom Punkt zum Titel.
Es ist schwer zu erklären, warum sich einige fußballaffine Menschen über Niederlagen der exzellent eingespielten Spanierinnen (und auch Spanier) fast freuen, obwohl man deren feinen Fußball sehr genießen kann. Das »schöne Spiel« ist aber mehr als das, hat nicht nur mit Ästhetik, sondern auch mit Überraschungsmomenten zu tun. Davon lebt der Fußball.
Letztendlich hat die Schweiz eine gute Europameisterschaft ausgerichtet, zu der man allerdings etwas Geld mitbringen musste. Engagement und finanziellen Eigenanteil fordert der Frauenfußball seit Anbeginn sowohl von den Sportlerinnen als auch von deren Familien und nicht zuletzt von den Fans. Trotzdem scheint diese EM der Frauen gerade in einem konservativ geprägten Land zu innerer Unruhe, sogar zu Freude geführt zu haben.
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