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Aus: Ausgabe vom 29.07.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Haushaltsüberschuss Argentinien

Jubel bei Agrarindustriellen

Argentiniens Präsident Milei senkt aus Angst vor Preissteigerungen Exportzölle auf landwirtschaftliche Produkte. Bei Rentnern und Armen wird gekürzt
Von Frederic Schnatterer
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Kämpferisch für das Agrarkapital: Javier Milei am Sonnabend auf der Landwirtschaftsmesse in Buenos Aires

Es war ein Heimspiel für den argentinischen Präsidenten Javier Milei, als er am Sonnabend vor Vertretern der Agrarwirtschaft – und Kühen, Rindern und Stieren – auftrat. Die jährlich in der Hauptstadt Buenos Aires stattfindende Landwirtschaftsmesse nutzte der ultralibertäre Präsident in seiner Rede, um zum wiederholten Male klarzumachen, wo seine Prioritäten liegen. Während für die Agrarindustriellen Geld da ist, läuft die Kettensäge bei den Ärmsten der Armen auf Vollgas.

Wie bereits im Vorfeld erwartet, kündigte Milei eine Senkung der Exportzölle auf wichtige argentinische Agrarprodukte an. Die »große Geißel, die nie hätte existieren dürfen«, sei das schwerwiegendste einer ganzen Flut an Problemen, die der Landwirtschaft geblieben seien, erklärte er zur Begründung. Fortan betragen die Zölle auf Rind- und Geflügelfleisch nur noch fünf, auf Mais und Hirse etwas mehr als neun, auf Sonnenblumen etwas mehr als fünf und auf Soja noch 26 Prozent. Soja ist das mit Abstand wichtigste Exportgut Argentiniens, das Land ist weltweit der drittgrößte Produzent der Bohne. Entsprechend großer Jubel brach bei den anwesenden Agrarindustriellen und Großgrundbesitzern aus, als Milei die Senkung der Zölle verkündete.

Ohnehin war der Präsident sehr darum bemüht, den Vertretern der Agrarwirtschaft Honig ums Maul zu schmieren. Er bezeichnete sie als »die wahren Schaffer von Reichtum« und rief in Anlehnung ans diesjährige Motto der Messe aus: »Den Boden zu bestellen, bedeutet, dem Vaterland zu dienen.« Die Zeiten, in denen ein Staatsbeamter den Produzenten sage, wann sie zu ernten hätten, seien definitiv vorbei, polemisierte er weiter. »Es gibt kein Zurück. Solange ich regiere, werden wir die Steuern senken«, unter denen die Landwirtschaft in den vergangenen 20 Jahren derart gelitten habe.

Auf den ersten Blick mag der Schritt der Milei-Regierung verwundern. Der Präsident ist darum bemüht, die Staatskasse aufzufüllen; der Haushaltsüberschuss gilt als heilige Kuh der Regierung. Dass mit der Reduzierung der Exportzölle weniger Einnahmen einhergehen werden, ist wahrscheinlich. Hinzu kommt, dass gerade die Sojaexporte eine wichtige Devisenquelle für den Staat darstellen. Darauf zu verzichten, ist besonders riskant, da das hochverschuldete Argentinien generell große Probleme hat, an Devisen zu gelangen.

Allerdings ist der Agrarsektor extrem mächtig. Zwar wurden die Exportzölle ab 2002 immer wieder erhöht, um so die Folgen der schweren Wirtschaftskrise einzudämmen. 2008 jedoch eskalierte der Konflikt zwischen Großgrundbesitzern und der damaligen Regierung unter Cristina Fernández de Kirchner, als diese die Abgaben erhöhen wollte. Letztlich knickte die progressive Präsidentin ein. Die damaligen Proteste der Agrarindustriellen gelten als Geburtsstunde der heutigen argentinischen Rechten.

Milei ist darum bemüht, die mächtigen Landwirte bei Laune zu halten – auch im Vorfeld der im September in der Provinz Buenos Aires und im Oktober landesweit anstehenden Parlamentswahl. Bereits Ende Januar hatte die Regierung die Ausfuhrzölle für besonders wichtige landwirtschaftliche Produkte gesenkt, allerdings zeitlich begrenzt bis Ende Juni. Die Zahlen der ersten Juliwochen zeigen einen dramatischen Einsturz der Exportmenge in der Folge. Das Risiko eines erheblichen Rückgangs der staatlichen US-Dollar-Einnahmen, eines weiteren Kursabfalls des Peso und letztlich von Preissteigerungen konnte die Milei-Regierung nicht eingehen – zu bedeutend sind die anstehenden Wahlen.

Doch was für die Agrarindustriellen gilt, gilt noch lange nicht für alle. Auf der Messe kündigte Milei an, die Erhöhung der Mindestrente sowie andere Sozialreformen konsequent mit einem Veto belegen zu wollen. Er werde »die Gesetze, die unser Land in den Bankrott treiben wollen«, zu verhindern wissen. »Haben sie etwa geglaubt, die Kettensäge sei ein Witz gewesen?«, fragte er rhetorisch. Anfang des Monats hatte die Senatsmehrheit für eine Reihe an Maßnahmen gestimmt, darunter auch eine moderate Steigerung der Renten um 7,2 Prozent. Milei bezeichnete die Verantwortlichen am Sonnabend als »Völkermörder der Zukunft, sie sind die Mörder unserer Kinder, unserer Armen und unserer Wehrlosen«, da sie den Haushaltsüberschuss gefährdeten.

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