Von außen angeheizt
Von Jörg Kronauer
Die »Große Abberufung« ist gescheitert. Auf Taiwan stimmten die Einwohner von 24 Wahlkreisen am Sonnabend darüber ab, ob ihre Parlamentsabgeordneten ihr Mandat aufgeben und für Neuwahlen Platz machen müssen. Das taiwanische Wahlrecht lässt das, wenn eine ausreichende Zahl an Wählern einen entsprechenden Antrag unterstützt, prinzipiell zu. Nun kam die »Große Abberufung« natürlich nicht von ungefähr. Auf Taiwan toben heftige Machtkämpfe, weil Präsident Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) im Parlament keine Mehrheit hinter sich hat. Die Opposition bzw. vor allem deren stärkste Kraft, die Guomindang (KMT), setzt ihm schwer zu; die Stimmung ist aufgeheizt. Anhänger der DPP sind nun auf die Idee verfallen, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament mit Hilfe des Abwahlverfahrens zu ändern. Dies gelang am Sonnabend in keinem einzigen Fall: Sämtliche KMT-Abgeordnete konnten sich behaupten.
Nun ist die Stimmung auf Taiwan nicht wegen eines gewöhnlichen Streits zwischen zwei verfeindeten Parteien so aufgeheizt, dass sie den »Great Recall« hervorgebracht hat. Präsident Lai verfolgt eine Politik, die langfristig auf die Abspaltung Taiwans von China zielt; er hat seit seinem Amtsantritt bereits einige ungewohnt scharfe Vorstöße in diese Richtung getätigt. Damit hat er Gegner einer Abspaltung, von denen viele die KMT unterstützen, alarmiert und die KMT selbst, die – übrigens auch aus geschäftlichen Gründen – auf ein gedeihliches Verhältnis zur Volksrepublik setzt, in überdurchschnittlichem Maße gegen sich aufgebracht. Es geht nicht um Peanuts. Man weiß, wie auch immer man dazu steht: Für die Volksrepublik ist die Abspaltung Taiwans eine rote Linie, auf deren Überschreiten sie mit militärischen Mitteln reagieren könnte. Das ist einer der Gründe, weshalb seit vielen Jahren konstant mehr als 80 Prozent der taiwanischen Bevölkerung es klar ablehnen, aktuell am Status quo zu rütteln.
Das erklärt wohl auch, wieso es der KMT gelang, alle 24 Parlamentsabgeordnete vor ihrer Abwahl zu bewahren: Der Unmut über Lais heftig polarisierende Politik ist offensichtlich in größeren Teilen der Bevölkerung stark. Und die Lage spitzt sich ja auch tatsächlich immer weiter zu – nicht zuletzt übrigens wegen westlichen Drucks. In der vergangenen Woche war eine Delegation des EU-Parlaments in Taipeh zu Gast und besprach mit Lai Schritte, die sich gegen Beijing richten. Noch erheblich stärkeren Einfluss nehmen die USA, die die Zahl ihrer auf Taiwan stationierten Militärs aufstocken. Die Trump-Administration will die Mittel verdoppeln, die im Streitkräfteetatt für Taiwan bereitgestellt werden. Das Pentagon hat es kürzlich untersagt, auf seinen Landkarten Taiwan, wie es völkerrechtlich korrekt ist, als Teil Chinas darzustellen. Die USA stationieren Raketen im Norden der Philippinen, führen auf kleinen, nahe Taiwan gelegenen japanischen Inseln Manöver durch. Das trägt zur stark aufgeheizten Stimmung auf Taiwan kräftig bei.
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