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Aus: Ausgabe vom 28.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Alchemisten des Tages: Marathon Fusion

Von Hagen Bonn
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Untersuchung von Goldstücken

Die Sache ist simpel: Sie sitzen im Hotel Adlon Berlin und haben eine Ecke Toast vor sich. Obenauf zehn Gramm Kaviar-Degustation. Kosten: 87 Euro. Aber während Sie essen, also Energie für sich erzeugen, wächst in Ihrer Hosentasche ausreichend Geld für die Rechnung. Und darum geht es: »Marathon Fusion« – ein junges Unternehmen aus San Francisco (USA), hat ein Fusionskraftwerk entwickelt, das als Abfallprodukt bei der Energieproduktion Gold gewinnt.

»Auf dem Papier sieht es großartig aus, und jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, ist interessiert und begeistert«, zitiert die Financial Times Ahmed Diallo, Kernphysiker der Princeton-Universität und Kernfusionsexperte. Aber? Nun, die Firma hat das »Marathon« im Namen. Will sagen, es dauert noch ein Weilchen. Zehn Jahre, zwanzig? Und dann soll ein Kraftwerk neben der Energie, um die es zuerst geht, bis zu fünf Tonnen Gold im Jahr herstellen. Oder waren es 5.000 Kilogramm? Egal.

Wichtig ist allein, warum die Alchemisten die Stabilität des Goldmarktes gefährden wollen. Antwort: Sie müssen. Denn der kapitalistische Strombedarf ist derzeit imperial. Zur Anschauung: In Deutschland verbrauchen die 50 Millionen Privat-PC bis zu zehn Terawattstunden Energie im Jahr. Dazu: 2022 haben die Rechenzentren, Kryptowährungen und KI zusammen 460 Terawattstunden Strom verbraucht. Und da schlussfolgern wir, dass der extreme Energiehunger der KI-Revolution eine Renaissance der Kernkraft geradezu provoziert.

Der Schwarzmaler Walter Tromm (Karlsruher Institut für Technologie) sagte gegenüber dem Magazin Spiegel, das sei eine »wissenschaftliche Kuriosität«. Aha, klingt wie anno dunnemals Wilhelm II., der feierlich erklärte: »Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. Juli 2025 um 11:48 Uhr)
    Alchemie trifft KI-Zeitalter – spannend, aber bleibt Zukunftsmusik. Fachleute erklären, dass das Prinzip der Neutronentransmutation physikalisch bekannt ist, die Umsetzung jedoch sehr aufwendig. Das Gold wäre zunächst radioaktiv und müsste jahrelang zwischengelagert werden. Die Goldproduktion sei nicht das Ziel, sondern ein wirtschaftlicher Bonus im Rahmen der Entwicklung kommerzieller Fusionsenergie. Zwar sei ein Goldausstoß von bis zu 5000 kg pro Jahr bei einem 1 GW-Reaktor theoretisch denkbar – das entspräche bei aktuellem Goldpreis einem Marktwert von etwa 544 Millionen US-Dollar. Aber praktisch ist das Verfahren noch nicht funktionsfähig, das Gold wäre anfangs nicht verwendbar, und keine Peer-Review bestätigt bisher die Aussagen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (28. Juli 2025 um 07:01 Uhr)
    Nachschlag: »The proposed method repurposes neutrons that are already essential to sustaining the fusion fuel cycle, with no reduction in power output or self-sufficiency. If validated, this innovation could effectively double the revenue potential of fusion plants by adding high-value gold production alongside clean power generation.« (https://oilprice.com/Company-News/Marathon-Fusion-Unveils-Method-to-Mass-Produce-Gold-From-Fusion-Reactors.html). DeepL: »Die vorgeschlagene Methode nutzt Neutronen, die für die Aufrechterhaltung des Fusionsbrennstoffkreislaufs bereits unverzichtbar sind, ohne dass es zu einer Verringerung der Leistung oder Autarkie kommt. Im Falle einer Validierung könnte diese Innovation das Ertragspotenzial von Fusionskraftwerken effektiv verdoppeln, indem sie neben der sauberen Stromerzeugung auch eine hochwertige Goldproduktion ermöglicht.« Man beachte die Wörtchen »Im Falle einer Validierung«! Marathon Fusion zapft wahrscheinlich die Nullpunktsenergie mittels Casimir-Effekt an.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. Juli 2025 um 20:29 Uhr)
    Diesen Blödsinn als »Kuriosität« zu bezeichnen ist kurios. Mein Tipp (ein Beitrag des bei der jW nicht so gehypten Harald Lesch): »Woher stammt das Gold auf der Erde?«, (https://www.zdf.de/video/dokus/terra-x-lesch-und-co-alle-videos-100/lesch-und-co-woher-stammt-das-gold-auf-der-erde-102). In dieser Sendung werden auch zwei Zahlen genannt: 200.000 Tonnen Gold wurden bisher auf der Erde gefördert, weitere 55.000 Tonnen könnten noch da sein … Noch etwas Physik am Rande. auf die Frage »Erhaltungssatz Energie« antwortet die google-KI: »Der Energieerhaltungssatz besagt, dass die Gesamtenergie in einem abgeschlossenen System konstant bleibt. Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden, sondern nur in verschiedene Formen umgewandelt werden.« »Also Energie für sich erzeugen« ist nicht, man kann selbige höchstens in sich verwandeln.

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